9. [Die Lebendige reitet mit dem Toten]
Eine andere Sage aus Dalleschitz in Mähren (nördlich von Znaim) lautet:
Zwei Eheleute lebten fern vom Geräusche der Welt. Da brach ein Krieg aus und auch der Eigentümer des Häuschens, namens Philipp, muste mit den Truppen fortziehen. Die Frau blieb ohne Nachricht, und ungewis ob Philipp noch lebe oder nicht, gieng sie täglich zur Kirche und betete, es möge ihr doch im Traum das Schicksal ihres Mannes kundgethan werden. Aber das geschah nicht; endlich rieth ihr ein altes Weib, einen Todtenkopf [Totenkopf] Nachts vom Friedhofe [Friedhofe] zu holen, ihn im Wasser zu kochen und sodann Acht zu geben, ob der Todtenkopf dreimal den Namen ihres Mannes rufe. Geschähe das, so würde er erscheinen, ob tot oder lebendig. Das that [sic] die Frau wirklich, und als der Todtenkopf den Namen Philipp dreimal rief, klopfte jemand an der Thür [Tür]. Sie machte auf und herein trat ihr Mann. Ein freudiger Schrecken übersiel sie, und sie fragte: woher kommst du und wie ist dir's gegangen? Ich habe nur eine halbe Stunde Zeit, erwiederte er; draußen stehen zwei weiße Rosse, willst du mit mir reiten, so erzähle ich dir. Sie setzte sich schnell auf das Roß und nun gieng's über Stock und Stein. Unterwegs sprach der Mann: der Mond scheint so hell; der lebendige reitet mit dem Toten: meine liebe, fürchtest du dich? Warum sollt ich mich fürchten, sprach das Weib, du bist ja bei mir. Nach einer Weile fragte er abermals, und er erhielt dieselbe Antwort. Endlich gewarte sie einen Friedhof, dessen Thüren aufgethan waren. Beide ritten hinein, und nun ward das Weib erst inne, daß sie mit einem Toten geritten sei. Schnell sprang sie von dem weißen Rosse und lief in das Totenhaus. Hier erblickte sie aber einen Toten, der in einer offenen Truhe lag. Sie sah sich nach einem Schlupfwinkel um, und verkroch sich in eine große Öffnung der Mauer. Kaum war sie darin, als ihr Mann kam und durchs Fenster dem Toten dreimal zurief: Gib mir heraus die lebendige! Da rührte sich der Tote und wollte aufspringen, allein in dem Augenblicke krähte der Hahn, und der Tote sank zurück. Auch ihren Mann sah sie in's Grab steigen. Mit Angst und Zittern erwartete sie den Tag; dann eilte sie schnell hinaus, gieng in das nächste Dorf und erfuhr, daß sie in einem fremden Lande sei, daß man eine andere Sprache spreche und daß sie mehr als 60 Meilen von der Heimat entfernt sei. Auf dem Heimwege muste sie sich durch betteln ernähren.
So weit die Volkssage. Der Hahnkrat findet sich auch in den Volksliedern
(S. 74), nicht aber die Art und Weise des Zusammentreffens, das nach unserer
Sage durch den Aberglauben veranlaßt scheint. Nach Meier (schwäb.
Sag, 2, 488) meldet sich der Tod durch klopfen und dreimaliges nennen
des Namens an.
Quelle: Mythen und Bräuche des Volkes in Österreich. Theodor Vernaleken, Wien 1859. S. 80f
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Claudia Hackl, März 2005.