17. [Der Thomaswagen]

Im Markte Horazdiowitz in Böhmen besteht folgender Brauch:

Wenn die Thomasnacht (21. Dezember) heranrückt, so begibt sich der Familienvater sammt seinen Kindern und dem ganzen Hausgesinde um die 7. Abendstunde an einen langen Tisch, in die Nähe des Ofens. Auf dem Tische befinden sich die Federn des im Laufe eines ganzen Jahres geschlachteten Geflügels. Die Federn werden an den langen Winterabenden getrennt, nämlich es wird die Fahne von dem Kiele gerissen1).

Dabei erzählt man sich allerlei Geschichten, namentlich über den Thomaswagen. Ein Hausvater erzählte einst folgendes.

"Als ich eben das Haus durchsuchte, begab ich mich auch auf den Boden und sah gerade bei einer Dachluke hinaus. Da nahm ich war, wie der heil. Thomas in einem feurigen Wagen saß, über den Ring2) fuhr und schrie: Um 12 Uhr komm ich wieder. Als nun der heil. Thomas zum Kirchhof kam, blieb er mit Wagen und Pferden stehen, und am Kirchhofe warteten auf ihn die Toten welche Thomas hießen, und halfen ihrem Patron aus dem Wagen. Alsdann gieng der heil, Thomas sammt seinen Begleitern bis zum Kreuze, welches ganz roth war, und Stralen von sich warf; dort kniete er nieder und betete. Nach vollendetem Gebete stund er auf, gab den übrigen Namensbrüdern den Segen, und verschwand unter dem Kreuze. Kaum war er in die Erde zurück, aus der er gekommen, so legte sich jeder Thomas wieder in sein Grab hinein.

Der Wagen sammt Pferden und dem Kutscher fuhren weiter in's nächste Dorf; auf einmal hörte ich, als der Wagen kaum 20 Schritte vom Kirchhofe entfernt war, eine Stimme: Heiliger Thomas beschütze mich! Jedoch der heil. Thomas war nicht in dem Wagen, sondern war in die Erde verschwunden.

Der Kutscher, der in den Zügen dieses rufenden den geizigen Richter von Buhsitz3) erkannte, schlug ihm mit seiner feurigen Peitsche die Augen aus und fuhr weiter."

1) Das Federntrennen wird in Mähren und Nied. Österreich auch Federnschleißen genannt. Vergl. Kuhn nordd. Sag. S, 409 (130).
2) Marktplatz.
3) Ein Dorf nächst Horazdiowitz.

Nach diesen Worten schwieg der Hausvater, und es schlug 12 Uhr. Da begann er wieder: Kinder! der heil. Thomas kommt schon wieder, fangt an zu beten, damit er uns nichts zu leide thue.

Nun knieten alle nieder und beteten das Gebet zum heil. Thomas. Unterdessen begibt sich gewöhnlich ein Freund des Vaters mit vier großen Fackeln in den Hof, steckt an jede Seite eines Wagens eine brennende Fackel, spannt die Pferde vor den Wagen, sprengt das Hausthor auf, und fährt durch den Markt Horazdiowitz. Der Hausvater steht am Fenster und sieht, ob sein Freund, der den heil. Thomas vorstellt, schon sein Amt angetreten habe.

Nun hört der Vater den daherrollenden Wagen des heil. Thomas und fängt an: Heiliger Thomas beschütze uns vor allen Übeln!

Nach diesen Worten fallen alle anwesenden abermals auf die Knie und beten ein andächtiges Vater unser; ja nicht selten geschieht es, daß in diesem Augenblicke aus Furcht auch Thränen vergossen werden.

Nun ist's beiläufig ein Uhr Nachts. Der Mann, welcher den heil. Thomas vorstellt, tritt nun mit verbundenem Gesichte in das Zimmer, und sagt: Ich wurde eben vom heil, Thomas auf eine schmerzhafte Weise begrüßt, denn er hätte mir beinahe ein Auge mit seiner feurigen Peitsche ausgeschlagen. Darauf fangen auch die Kinder an, diesem zu erzählen was sie gehört haben. Dabei wird es etwa zwei Uhr Nachts, und es erscheint der Nachtwächter mit einem langen weißen Barte und einer Bischofsmütze (den heil. Thomas vorstellend) und neben sich führt er einen ziemlich großen Kettenhund. Der Nachtwächter bleibt vor dem Hause stehen und fängt an in sein Horn zu blasen, hernach setzt er sich auf die Erde nieder und singt:

Meine lieben Herrn und Frauen lasst euch sagen,
die heil. Glocke hat g'rad 2 Uhr g'schlagen,
nehmt's euch in Acht vor Feuer und Licht,
dass euch durch den heil. Thomas nichts g'schicht.

Wenn er sein Lied abgesungen hat, geht der Hausvater hinaus und gibt ihm einige Kreuzer. Dann kommt der Vater herein und sagt zu seinen Kindern: Kinder, der heil. Mann laßt euch sagen, ihr sollts brav sein, fleißig beten und das künftige Jahr wird er euch wieder besuchen. Hat nun der Hausvater dieses gesprochen, so holt die Frau des Hauses einen Sack, um die getrennten Federn hinein zu thun. Ist dieß geschehen, so sagt sie noch.einmal: Mann! durchsuche noch einmal das ganze Haus und dann gehen wir in Gottes Namen schlafen.

Der Hausvater begibt sich abermals mit seinem Freunde fort. Dieser trägt jetzt außer der Fackel auch noch ein Glas mit dem heil. 3 Königswasser gefüllt und ein wenig Salz in den Stall, besprengt denselben zuerst von außen, hernach geht er in Stall, besprengt jede Kuh und streuet ihr ein wenig Salz auf den Kopf, mit den Worten: "Beschütze dich der heil. Thomas vor jeder Krankheit."

Hat er so über alle Kühe diese Worte gesprochen, so geht er sammt seinem Freunde in das Schlafgemach und alle begaben sich zur Ruhe.

Der nächste Tag wird mit frommen Gebeten zugebracht, und noch lange erzählen die Kinder von dem was sie gehört und gesehen haben.

*

In obiger Überlieferung erscheint heidnisches und christliches wunderbar vermengt. Mehr solcher Züge vermöchten selbst über den Kult Wuotans einiges Licht zu verbreiten. Der feurige Wagen, die vier Fackeln (Räder), der Umzug, das Verhältnis zu den Toten, der Freund und Begleiter des Hausvaters, der Kettenhund - das sind offenbar Überlieferungen aus vorchristlicher Zeit.

Quelle: Mythen und Bräuche des Volkes in Österreich. Theodor Vernaleken, Wien 1859. S. 94ff
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Claudia Hackl, März 2005.