28. [Die Klage]

a.

Die Klag' ist eine Erscheinung, die niemand vergißt, dem sie begegnet. Wenn's manchmal um Mitternacht in einem Hause zu schlurren und zu winseln anfängt, als ob ein schwerer Körper über die Steintreppe geschleift würde, so daß man Ruck für Ruck hört und ein Geächze vernimmt, wie das eines sterbenden, so ist das die Klag'. Öffnet man die Stubenthür und blickt hinab auf den finstern Hausflur, so sieht man's schwer fortrollen, wie einen unförmlichen Knäul, blaue Funken sprühend, bald einer Kugel, bald einem Rumpf ähnlich von Stufe zu Stufe empor hüpfen, wie eine feurige Kröte, und hört dabei so widerlich schnurren und heulen, als ob ein Mensch "abgethan" würde. Schaudernd eilt man in seine Stube zurück und schließt schnell ab, damit die Klag' ja nicht über - die Schwelle komme.

Aber genug wenn sie im Hause sich hat vernehmen lassen; gewöhnlich hat's einen Todfall zu bedeuten oder mindestens einen Unfall. (Nied. Österr.)

b.

Oft hört man im Hause oder draußen vor dem Fenster ein winseln und ein weinen, wie von einem kleinen Kinde; sowohl bei Tage als bei der Nacht. Das nennen die Leute die Klage. Es soll das die Seele eines verstorbenen Freundes oder Bekannten sein. In dem Hause, wo die Klage gehört wird, stirbt bald darauf jemand, oder aus der Freundschaft desselben Hauses.1)

Oft hört man die Klage auch durch das Haus ziehen und zum Fenster hinaus. (Nied. Österr.)

1) Vielleicht wären hier die an sich verwandten griech. Keren und Mören (verw. mit mors) zu vergleichen.


Quelle: Mythen und Bräuche des Volkes in Österreich. Theodor Vernaleken, Wien 1859. S. 104
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Claudia Hackl, März 2005.