37. [Ein Querr läßt in die Zukunft blicken]
Als die erste Glocke zu Warnsdorf geläutet wurde, da packten die
kleinen Querre ihre Habe zusammen und wandten sich östlich gegen
Hörnitz bei Zittau und schlugen in dem sogenannten "breiten
Berge", über welchen heutzutage die sächsische Heerstraße
führt, ihr Lager auf. Als endlich die Glocken überall ertönten,
ließen sich die kleinen Leute gar nicht mehr sehen, und man vermutet
nur, daß sie sich tief in die Berge verkrochen haben.
Zu Heinewalde, welches am Fuße des breiten Berges liegt, lebt jetzt
noch ein Mann, welcher vor 12 Jahren um Mittag einen Spaziergang nach
dem Berge machte. Es war ganz menschenleer und ganz stille auf demselben,
und als er sich eben an der herrlichen Aussicht erfreute, da fühlte
er sich leise an seinem Rockschöße gezupft. Er drehte sich
erschrocken um, und erblickte zu seinen Füßen ein kleines Männchen
mit erdfahlem Gesicht und grauem Barte, welches mit den Augen ängstlich
zwinkerte und blinzelte, und ihm zu verstehen gab, daß er ihm folgen
möge. Der Mann, welcher sich eines heimlichen Grauens nicht erwehren
konnte, gieng endlich doch mit ihm, und der Querr führte ihn durch
Gänge und Schluchten ein und aus, bis sie endlich an einer finstern
Höhle angelangten, welche sich allmählich bis zu einem geheimnisvollen
Halbdunkel erhellte. Keine Seele war zu erblicken, und selbst der kleine
Führer war verschwunden, welcher ihn bis hierher geleitet hatte.
Es zogen nun - so erzählt dieser Mann - vor seinen Blicken all die
Revolutionsereignisse des Jahres 1848 in verwischten Bildern vorüber.
Nachdem sich das frühere Dunkel wieder eingestellt hatte, fühlte
der halbtrunkene Mann sich wieder am Rockzipfel gefaßt, der Querr
trat zu ihm, und führte ihn wieder hinauf auf den Berg in's Freie,
wo er ihn verließ, nachdem er zu ihm die Worte gesagt hatte: "Geh
und erzähle dem undankbaren Menschenvolke, welches uns mit seinem
Glockengewinsel vertrieb, was du gesehen hast, und was bald über
sie hereinbrechen werde." -
Quelle:
Mythen und Bräuche des Volkes in Österreich. Theodor Vernaleken,
Wien 1859. S. 215f
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Claudia Hackl, März 2005.