46. [Wechselbälge]
In der Nähe von Ödenburg hatte eine Bäuerin ein Kind in
der Wiege liegen, und eine Nachbarin kam und verwunderte sich über
den großen Kopf des Kindes. Ist das euer Kind? fragte sie. Ich glaube
wohl, antwortete die Bäuerin, aber ich muß gestehen, daß
ich schon Bedenken gehabt habe, und zwar aus folgendem Grunde. Gleich
nach der Geburt des Kindes überfiel mich ein Schlummer. Da war mir
plötzlich, als ob sich leise die Thüre öffnete, und ein
Mann mit aufgestülpten Hemdärmeln und scharlachrother [scharlachroter]
Weste hereinkäme. Schnurgerade gieng derselbe auf mein Bett los,
und nahm mir mein Kind, während er ein anderes an dessen Stelle hinlegte.
Bald darauf erwachte ich und hielt alles für einen Traum, da mein
Kind neben mir im Bette lag. Die Nacharin sagte: Wahrheit ist es und kein
Traum! Habt ihr denn niemals von dem Kinderwechsler gehört! Ihr könnt
aber euer Kind wieder zurückerhalten, wenn ihr meinen Rath [Rat]
befolgt. Schichtet Holz aufeinander, und stellt einen Kessel mit Wasser
darüber. Abends, wenn das Avemariaglöckchen ertönt, zündet
das Holz an, und macht ein so großes Feuer, daß das Wasser
noch während des Avemarialäutens zu sieden anfängt. Dann
thut [tut] als wenn ihr das Kind in das siedende Wasser werfen wolltet.
Thut ihm aber nichts zu leide; denn wie ihr das Kind des Kinderwechslers
haltet, so wird das eurige von ihm gehalten. Der Kinderwechsler weiß
sehr genau wie es seinen Kindern geht, und liebt sie auch sehr. Wenn er
nun sehen wird, daß ihr sein Kind in das siedende Wasser werfen
wollt, so wird er kommen, um sein Kind zu retten, und mit sich zu nehmen,
und wird euch dafür das eurige bringen. Des andern Tages abends richtete
die Bäuerin das Holz her, und stellte den Wasserkessel darüber.
Als nun das Avemariaglöckchen ertönte, machte sie ein so großes
Feuer, daß binnen wenigen Minuten das Wasser zu sieden anfieng.
Nun wollte sie das Kind in denselben werfen. Kaum hatte sie das Kind in
den Händen, als die Thür heftig aufgerissen wurde, und ein großer
Mann mit aufgestülpten Hemdärmeln und scharlachrother Weste
stürzte, ein Kind auf den Armen, herein. Schnell riß er der
Bäuerin das Kind aus den Händen, und eilte mit ihm davon. Die
Bäuerin lief ihm nach; als sie aber vor die Thüre [Türe]
kam, war er bereits verschwunden und nichts war mehr von ihm zu sehn.
Die Bäuerin kehrte nun in die Küche zurück und fand dort
das Kind, welches der Kinderwechsler gebracht hatte. Die Ähnlichkeit,
welche dieses Kind mit der Bäuerin hatte, und der Umstand, daß
das Kind am Arme ein Muttelmahl hatte, das mit einem der Bäuerin
ganz gleich war, machte, daß die Bäuerin das zurückgelassene
Kind als ihre Tochter erkannte.
Die Kinder des Kinderwechslers sind bei dem Volke unter dem Namen "Wechselbälge"
bekannt. Sie zeichnen sich durch einen ungestalten Körperbau und
besonders durch einen großen Kopf aus.
Daß gerade "Unterirdische" (Grimm Myth. 437; Kuhn Nd.
Sag. Nr. 36) die Kinder stelen, scheint in Österreich nicht Volksglaube
zu sein. An manchen Orten schreibt man es dem Teufel zu, und zwar geschieht
es meist in den "Rauhnächten". Der Teufel muß das
rechte Kind wieder zurückbringen, wenn man den Wechselbalg auf die
Thürstufe legt und dreimal hinüber steigt.
In Nied. Österreich (Wultendorf) glaubt das Volk, die Kinder werden
vom "Klagemütterl" (vergl. oben III, Nr. 28) umgetauscht
oder auch von ihrem Sohne, der in Jägerkleidung kommt. Die Wechselbälge
haben einen ungeheuer großen Kopf, lernen nie sprechen und sterben
früh oder entlaufen. Bringt das Klagemütterl das rechte Kind
zurück, so ist es um kein Haar gewachsen.
In Böhmen werden die Kinder von den wilden Frauen gestolen ([gestohlen] s. weiter
unten Nr. 55).
Quelle:
Mythen und Bräuche des Volkes in Österreich. Theodor Vernaleken,
Wien 1859. S. 232ff
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Claudia Hackl, März 2005.