Der fleißige Bartschaber
Wer einmal über das einsame Leithagebirge gezogen ist, der weiß, daß es ganz ansehnliche Steigungen zu überwinden gibt.
Geht es aber hernach bergab, dann ist jede Fahrt ein Vergnügen, und bald sieht man die schimmernden Dächer der alten Freistadt Eisenstadt vor sich.
In diesem verträumten Ort mit seinen kaisergelben Mauern lebte einst ein junger Bartschaber mit Namen Fridolin Fröhlich.
Der sang und pfiff den ganzen Tag und war trotz aller Armut und Enge stets guter Dinge.
Am Wochenmarktstag kamen die Bauern aus der Umgebung in sein kühles Gewölbe und ließen sich den Bart abscheren, tagsüber saßen die Eisenstädter Bürger auf den Wartebänken, und ab und zu verirrte sich auch einer der Bediensteten aus dem fürstlich Esterhazyschen Schloß zu ihm und ließ sich sein hochnäsiges Gesicht einseifen.
Und weil Fridolin Fröhlich immer guter Laune war und seinem Namen und seiner Zunft Ehre machte, so hatte er ein zwar recht bescheidenes Auskommen, aber kam damit leidlich durchs Leben.
Wohlgemut ließ er die Schere klappern und schnippelte alt und jung das Haar vom Kopf oder handhabte mit Schwung sein Schabmesser. Dabei erzählte er für die Wartenden die neuesten Klatschgeschichten des kleinen Städtleins.
So war er überall wohlgelitten und geachtet in Eisenstadt.
Da er aber vom ersten Tag seiner löblichen Tätigkeit an die abgeschnittenen Haare seiner Kunden sorgfältig aufbewahrte, hatte er gar bald eine stattliche Menge davon lagernd in seinem Vorratsschuppen.
Die anderen Haarschneider der Stadt warfen die abgeschnittenen Zotteln auf den Kehrichthaufen. Fridolin Fröhlich sammelte sie fleißig.
Als er den Dachboden und die Stuben voll mit Haaren hatte, mußt er sich dazu entschließen, sie in irgendeiner Form zu verwerten. Er überlegte lange und bedachte alles gut.
Dann machte er sich daran, aus dem haarigen Berg ein dickes Seil zu drehen.
Nun konnte man den fröhlichen Fridolin jeden freien Augenblick an seinem Seile werkeln sehen, und da er feinsäuberlich die dunklen und die lichten Strähnen vermengte und die silbernen Haare mit den rötlichen gut vermischte, so entstand gar bald ein armdickes Seil, zäh, fest und voll goldschimmerndem Glanz.
Erst maß es nur einen Klafter oder mehr, doch nach einem Jahr war es gute zehn Klafter lang und wuchs so von Jahr zu Jahr, bis es schließlich eine Länge hatte, daß man es sehr wohl von einem Stadttor bis zum anderen hätte spannen können.
Um diese Zeit geschah es einmal, daß Seine Apostolische Majestät,
der Kaiser, die Wiener Hofburg verlassen und nach Ofenpest reisen wollte.
Er kam in einem gewaltigen Zug mit hundert prächtigen Wagen über
Mannersdorf und Au herangefahren.
Seine Prunkkarosse war aber derart schwer von Gold und edlem Gestein, daß sie die starken Pinzgauerrosse nicht über das Leithage-birge ziehen konnten.
Immer mehr Gespanne wurden vorgehängt, doch bei der nächsten Steigung schon rissen wieder alle Stränge. Der goldene Wagen war zu schwer.
Nun mußten die Glockenseile von Mannersdorf bis Brück an der Leitha herhalten, um das kaiserliche Prunkgefährt über die Berge zu bringen. Doch auch sie erwiesen sich zu schwach und rissen, als wären es dünne Bindfäden.
Guter Rat war teuer, die kaiserliche Majestät wegen des stundenlangen Aufenthalts schon sehr ungehalten.
Endlich meldete einer der Spannknechte dem kaiserlichen Obersthofmeister, daß in Eisenstadt ein Balbierer namens Fridolin Fröhlich ein aus Menschenhaar verfertigtes Riesenseil besitze, das vielleicht Rettung bringen könnte.
Sogleich wurde Befehl gegeben, dieses Seil zu holen. Weil es aber zum Transport mit Wagen viel zu gewichtig war, wurde es von fünfhundert Leuten über das Gebirge getragen.
Gegen Abend kam keuchend und schwitzend der Riesenhaufe mit dem schimmernden Seil an.
Rasch und geschickt wurde es an der kaiserlichen Karosse befestigt und hernach von den treuen Untertanen der ungeheuer schwere, goldüberladene Wagen über das Gebirge gezogen.
Spät in der Nacht, bei Fackelschein und Glockengeläut, fuhr der Kaiser in Eisenstadt ein, ehrfurchtsvoll begrüßt vom Rat der Stadt und von den erfreuten Bürgern.
Am nächsten Morgen wurde der fleißige Bartschaber Fridolin Fröhlich zur Audienz befohlen und empfing außer lobenden Dankesworten Seiner Majestät ein ledernes Säcklein mit fünfundzwanzig Dukaten.
Das haarene Seil, das den kaiserlichen Prunkwagen aus so übler Bedrängnis
errettete, wurde von Gefangenen nach Wien gebracht und soll dort heute
noch im kaiserlichen Wagenhaus des Schlosses Schönbrunn zu sehen
sein.
Quelle: Die goldenen Lerchen. Geschichten und Sagen aus Oberösterreich, Niederösterreich und dem Burgenland, Hiess, Linz 1949, S. 218ff, zit. nach Sagen aus dem Burgenland, Hrsg. Leander Petzoldt, München 1994, S. 213ff.