Der Erlöser in der Wiege

Vor Zeiten befand sich auf dem Burgstall bei Eisenstadt ein Weingarten.

Eines Tages ging die Besitzerin um die Mittagszeit durch den Weingarten, und da erschien ihr eine schöne Weiße Frau, die zu ihr sprach:

"Morgen um dieselbe Zeit werde ich an dieser Stelle als Schlange mit einem Schlüsselbund im Munde auf dich warten. Fürchte dich nicht und reiße der Schlange die Schlüssel aus dem Munde, dann hast du mich erlöst."

Darauf verschwand die Weiße Frau.

Tags darauf erschien der Bäuerin die Schlange mit dem Schlüsselbund. Tief erschrocken schrie das Weib um Hilfe, worauf die Schlange urplötzlich verschwand. Am dritten Tage war die Bäuerin zur Mittagszeit wieder in ihrem Weingarten. Da erschien die Weiße Frau wieder, die vorwurfsvoll klagte:

"Wisse, daß ich eine verwunschene Prinzessin bin. Hättest du das getan, um was ich dich gebeten habe, so hättest du mich erlöst. Nun muß ich wieder so lange schmachten, bis an dieser Stelle ein Nußkern aufgeht, aus dessen Stamm eine Wiege gezimmert werden wird. Das Kind, das in dieser Wiege liegen wird, wird mein Erlöser sein. Bedenke nun, wie lange ich noch warten muß!"

Die Weiße Frau tat einen schweren Seufzer und verschwand. a)

*

Da war eine Frau, die hatte eine Spinnstube, und da kam immer ein Mädchen hin und hat dort gehalten (Wolle). Da kam immer eine Frau zu ihr. Das Mädchen hat sie immer gekämmt, und sie ist immer gut mit ihr umgegangen.

Einmal sagt die Frau zu ihr (sie sind schon den ganzen Sommer zusammengekommen):

"Höre, du kannst mich erlösen, denn ich bin verwunschen, aber du mußt das tun, was ich dir sage: Ich komme als glühende Schlange daher, und da stoß mich nur ein wenig an. Ich habe einen Schlüssel im Maul und laß den Schlüssel fallen, sperr dann dort und dort auf, da ist eine große Summe Geld!"

So ist sie gekommen, aber das Mädchen hat sich nicht getraut, und die Schlange mußte, nachdem ihre Zeit vorbei war, wieder verschwinden.

Am nächsten Tag kam die Frau wieder und sagte:

"Schau, gestern hättest du mich erlösen können, jetzt muß ich weiter leiden. Da schau her, da steht ein kleiner Baum, und bis der Baum groß ist und geschlagen wird und von dem Holz eine Wiege gemacht wird und das Kind, das da aus dieser Wiege heranwächst, das wird mich erlösen!" b)



Quelle: a) Adolf Parr und Ernst Löger, Sagen aus dem Burgenland, Anton Mailly Wien/Leipzig 1931, S. 26, zit. nach Sagen aus dem Burgenland, Hrsg. Leander Petzoldt, München 1994, S. 96f.
b)Zentralarchiv der deutschen Volkerzählung, Marburg, ZA: 184022, zit. Nach ebenda