Die Erscheinung der Weißen Frau
Einmal wurde gerade das Jubiläum der Ortsfeuerwehr mit feierlichem Aufzug, Ehrenjungfrauen und schönen Reden im Schloßhof gefeiert, als plötzlich der Schemen sichtbar wurde, den Hof durchquerte und vor aller Augen über eine Treppe ins Haus verschwand. Ein Sohn des Burgherrn eilte ihr sofort nach. - Vergebens!
Als er aber in den Hof zurückkehrte, wo waren da Feuerwehr und Ehrenjungfrauen?
Wo? - Nur der allerletzte Helm schwankte gerade durchs Tor. So geschehen
Anno Domini neunzehnhundert und etliche!
Die Erscheinung wird als junge Frau, klein von Gestalt, blondhaarig, weißgewandet
und wie aus einem durchsichtigen Dunste bestehend geschildert. Sie trägt
einen altertümlichen ungarischen Kopfputz auf dem Haupte mit einem
über der Stirne stehenden großen Smaragd. Dieser verbreitet
im Dunkel ein mattes, grünes Licht um sie, das hell genug leuchtet,
um die nächsten Gegenstände erkennen zu lassen. Neue Gäste
beguckt sie sich manchmal des Nachts, was diesen oft nicht recht sympathisch
ist. Es soll auch Photographien von ihr geben, auf denen sie aber mehr
wie ein lichter Nebelklecks aussieht.
Quelle: Fast hundert Jahre Lebenserinnerungen, Helene Erdödy, Zürich/Leipzig/Wien 1929, S. 187f, zit. nach Sagen aus dem Burgenland, Hrsg. Leander Petzoldt, München 1994, S. 112.