Die versunkene Frauenstadt

An beiden Ufern des Pfraumaubaches lag vor vielen hundert Jahren eine schöne, prächtige Stadt, die Frauenstadt. Sie versank mit allen ihren Bewohnern tief in die Erde, weil sie gottlos und prunksüchtig gewesen waren. Seit dieser Zeit haust dort, wo die Frauenstadt versunken ist, eine "Kranzelotter". Sie trägt ein goldenes Krönlein auf dem Kopf, das mit kostbarsten Edelsteinen verziert ist. In ihrem Mund hält sie einen silbernen Schlüssel, mit dem man das Tor zur versunkenen Frauenstadt öffnen kann.

Einmal gingen zwei Bauern aus Wiesen in der Morgendämmerung nach Wiener Neustadt. Ihr Weg führte sie über die versunkene Stadt. Da erblickten sie die Kranzelotter mit dem silbernen Schlüssel im Mund. Sie gingen ihr nach, bis sie an ein eisernes Tor kamen. Dort zeigte ihnen die Schlange durch Bewegungen ihres Körpers an, daß sie die Schlüssel nehmen und das Tor aufsperren sollten.

Als die beiden Bauern sich eben anschickten, dem Verlangen der Schlange nachzukommen, ertönten laut und hell die Morgenglocken, und plötzlich waren die Schlange und das eiserne Tor wieder verschwunden.

Erst in hundert Jahren wird sie wieder erscheinen, und der Glückliche, der sie sieht, erhält alle Schätze der versunkenen Stadt.


Quelle: Sagen aus dem Rosaliengebirge, August Strobl, in: Heimatkundlicher Familienkalender, St. Pölten 1949, S. 178f, zit. nach Sagen aus dem Burgenland, Hrsg. Leander Petzoldt, München 1994, S. 231f.