Das gefallene Mädchen

Meine Rosi ist von einem anderen Mann. Und ich war ledig. Ich hab' ins Krankenhaus gehen müssen, um mein Kind auf die Welt zu bringen, weil mich weder meine Mutter noch meine Geschwister ins Haus hineingelassen haben. Meine Mutter hat zu mir gesagt:

"Verschwind aus meinem Haus! So eine ist in meinem Haus noch nicht gewesen, die als Mädchen ein Kind bekommen hat."

Ich hab' nicht nach Haus dürfen. Ich bin ins Krankenhaus gegangen. Vierzehn Tage bin ich im Krankenhaus gelegen. No, als die Rede darüber war, daß ich samt Kind nach Haus geh, hat meine Mutter gesagt:

"Du kannst nach Haus kommen, aber dort wirst du ein schweres Leben leben müssen."

No, meine arme Mutter hat mich zu Haus aufgenommen. Aber wenn ich durchs Fenster hinausgeschaut hab', wenn ich durch die Tür hinausgeschaut hab', was hab' ich immer gesehen? Einen häßlichen Kopf. Ich hab' gedacht, daß ich mich vor ihm noch zu Tod erschrecken werde. Solang hab' ich diesen Kopf gesehn, bis ich das dem Pfarrer geklagt hab'. Ein Mädchen darf aber nicht zum Aussegnen gehen, sie ist ein gefallenes Mädchen. Nur die Frauen dürfen hingehen. Dann hab' ich das dem Pfarrer geklagt, was ich beim Fenster sehe. Er sagt:

"Mein liebes Kind, du darfst in die Kirche kommen. Du sollst dich vor der Marienstatue hinknien, und dort sollst du drei Vaterunser beten. Nie wieder wirst du diese Gestalt bei deinem Fenster sehen."

Gleich, wohin ich gegangen bin, ich hab' diese Gestalt überall gesehen. Das ist heilig wahr. Seitdem aber nicht mehr. Ich bin aber mit keinem anderen Kind ohne Aussegnung geblieben. Ich bin dann immer in die Kirche gegangen. Das ist wahr.


Quelle: Angaben zu den abergläubischen Erzählungen aus dem südlichen Burgenland (Burgenländische Forschungen, H. 33), Karoly Gaal, Eisenstadt 1965, Nr. 12, zit. nach Sagen aus dem Burgenland, Hrsg. Leander Petzoldt, München 1994, S. 132.