Der Geist aus dem Wasser

Das geschah im Jahre 1822 in Purbach:

Am heiligsten Rochustag, den die Purbacher als Feiertag begingen, fuhren neun Burschen und zwei Mädchen auf den See hinaus, um den heiteren Tag auf dem Wasser zu genießen. Ihr Singen und Lachen klang fröhlich ans Ufer.

Jedenfalls hatte die Mutter des 17jährigen Bindersohns Matthias Seeberger ihren Buben ermahnt, ja nicht mit den anderen auf den See hinauszufahren. Der Bursche gehorchte aber nicht und nahm an der lustigen Fahrt teil.

Als die Bootsfahrer schon weit im See waren, erhob sich plötzlich ein großes Gewitter, das das Boot noch weiter vom Ufer abtrieb, bis zu den gefährlich tiefen Stellen von Podersdorf und Illmitz. Die Fischer, die das allzu belastete Boot vor der Abfahrt gesehen hatten, schüttelten nun besorgt die Köpfe:

"Die Fahrt muß ein schlechtes Ende nehmen."

Als der mit dem Gewitter aufgekommene Sturm die Häuser von Purbach umbrauste, ergriff die Mutter Seeberger große Bangigkeit. Der Sohn war nicht zu Hause.

"Wird er sich doch nicht am gefährlichen See befinden?"


Alle gefährlichen Unfälle durch den See, von denen die Alten soviel erzählen konnten und von denen auch eines auf dem Altarbild der Kirche zu sehen war, fielen ihr ein.

Aber sie konnte nicht lange darüber nachdenken, denn auf einmal hörte sie Schritte. Jemand kam über die Stiegen zum Zimmer herauf. Die bangende Mutter atmet erleichtert auf: Ja, das ist ihr Sohn, sie kennt ihn an den Schritten. Sie hat aber nicht Zeit zu langer Überlegung, die Tür öffnet sich, und vor ihr steht - Matthias. Aber vom Kopf bis zum Fuß ist er voll Nässe, als ob man ihn in einen Tümpel getaucht hätte. Traurig, unendlich traurig schaut er auf die Mutter.

Die Frau springt auf, eilt ihm entgegen. Aber bis sie zu ihm kommt, ist dort nur ein nasser Fleck. Als ob den Burschen die Erde verschlungen hätte. Sie schreit auf, die Hausgenossen kommen herbei und hören verwundert die Reden der Erregten. Sie sehen erstaunt die nasse Tür und auf der Stiege die feuchten Spuren von Füßen. Jemand mußte dagewesen sein. Sie durchsuchten Zimmer und Kammern, durchstöbern alle Winkel, doch alles ist umsonst, nirgends findet sich auch nur die geringste Spur.

Um der Ungewißheit ein Ende zu bereiten, eilen die Seebergerischen an das Ufer des Sees und erkundigen sich bei den Fischern über die Bootsfahrer.

"Ja, die jungen Leute sind hinausgefahren, auch Matthias war unter ihnen gewesen, und niemand ist bisher zurückgekommen."

Ein Unglück? -Ja, ein Unglück könne leicht geschehen sein.

Da der Sturm schon im Abklingen war, setzten sich einige beherzte Fischer, auf das verzweifelte Bitten der Mutter hin, in ein Boot und ruderten auf den See hinaus. Erst spätabends kehrten sie zurück. Von den Ausflüglern war keine Spur zu finden gewesen…

Nach einigen Tagen schwammen zwischen Podersdorf und Illmitz elf Leichen im See. Gute Menschen zogen sie ans Ufer und begruben sie.


Quelle: Karl Semmelweis, Engel oder Geist? Aus dem Ungarischen Übersetzt, in: Volk und Heimat, Nr. 13 (1948), S. 2 (gekürzt), zit. nach Sagen aus dem Burgenland, Hrsg. Leander Petzoldt, München 1994, S. 84f.