Die vorwitzige Kellnerin

Da war eine Kellnerin, die fürchtete sich vor nichts, da konnte kommen, was wollte. Da war ein Menschenskelett, das sie hinter der Kirche aufgehängt hatten. Es war ein Wunder, daß die Knochen des Skelettes nicht auseinanderfielen.

Da haben sie einmal in einem Wirtshaus miteinander Schnaps getrunken und diskutiert wie wir. Und das Mädchen sagte:

"Ich fürchte überhaupt nichts!"

Als sie in die Kirche geht, hat sie ihnen das Skelett hingeschmissen auf den Tisch, wo die Herren rundherum gesessen sind. Ein Knochen fällt da hinunter, der eine dort. Da kam ihnen das Schaudern, und sie wollten, daß die Kellnerin das Skelett zurückbringt. Diese nimmt das Skelett und geht fort. Bevor sie zur Kirche kam, wurde es schwer, daß sie es nicht mehr tragen konnte. Da hat sie es fortgeworfen. Plötzlich steht ein schwarzer Mann vor ihr:

"Sie haben die Seele so beleidigt, ich kann Ihnen nicht mehr verzeihen."

Und sie bittet den Mann: "Bittschön, verzeihen Sie mir."

"Ich kann nicht! Ich kann's Ihnen nicht verzeihen! Sie haben die Seele so betrogen."

"Bittschön, Herr, verzeihen Sie?"

"Hinter dem Altar werden Sie eine Tür sehen, und da gehen Sie hinein und klopfen an. Und wenn nicht einer spricht Herein, wenn niemand spricht, sind Sie verloren!"

Da geht sie hin und hat das alles so gemacht. Klopft an, niemand rührt sich, klopft an, erst beim dritten Mal sagt es: "Kommen'S herein!"

Da sitzt ein alter Mann drinnen und hat ein Buch in der Hand:

"Herr, können Sie mir verzeihen?"

Der spricht nichts, kein Wort.

"Herr können mir nicht verzeihen"

…spricht, dort ist eine andere Tür, da ist wieder einer.. . ein Buch in der Hand.

Da kniet sie vor ihn hin: "Können Sie mir nicht verzeihen?"

"Nein, nein, nein, ein drittes Mal nein! Tragen Sie die Seele hin, wo sie hingehört, und nachher können wir vielleicht die Sünde verzeihen."

Da geht sie hinaus, und wie sie hinauskommt, lag dort das Skelett, wo sie es hingeworfen hatte. Hat das Skelett wieder hingehängt und ging zurück ins Wirtshaus, wo alle noch gesessen sind. Sie war schneeweiß von dem, was sie mitgemacht hatte, und ein halbes Jahr später ist sie gestorben.


Quelle: Zentralarchiv der deutschzen Volkerzählung, Marburg, ZA: 184023, zit. nach Sagen aus dem Burgenland, Hrsg. Leander Petzoldt, München 1994, S. 93f.