Kaiser Joseph und der kluge Koch
Da hat der Kaiser Joseph drei Erzbischöfe an der Tafel gehabt. So haben sie ihm aufgegeben, er soll ihnen auflösen, wie viele Sterne am Himmel stehen, wie viele Haare ein Schimmel hat und wie weit Glück und Unglück auseinanderliegen. Drei Stunden, haben sie gesagt, hat er Zeit.
Er ist aber gleich davongelaufen zu ihrem Prior:
"Du, du mußt mir sagen, wie viele Sterne am Himmel stehen und wie viele Haare ein Schimmel hat und wie weit Glück und Unglück auseinanderliegen! Eine Stunde hast du Zeit, dann komm ich wieder her."
Dem Prior ist himmelangst und bang geworden. Er läßt den Koch holen. Er sagt zu ihm:
"Verkleiden Sie sich als Prior für mich."
"O ja, das mache ich schon."
Zieht sich aus und verkleidet sich als Prior und der Pfarrer als Koch. Er ist in die Küche gegangen als Koch, und der Koch ist dageblieben als Prior. Er hat sich gleich drei, vier Flaschen Wein bestellt und den besten Braten. Wie die Stunde um war, klopft der Kaiser schon an. Das erstemal sagt der Koch nichts, das zweitemal auch nicht. Beim drittenmal sagt er:
"Wen hat denn der Schinder vor meiner Tür!"
Da tritt der Kaiser ein.
"Oh", sagte der Koch, "Eure Majestät, ich habe die Ehre! Vor meiner Tür stehen alle Viertelstunden die Bettler. Was wünschen Eure Majestät von mir?"
"Ich hab's dir ja schon gesagt."
"Ja, gesagt, aber ich weiß nichts davon", sagt der Koch.
"Wie viele Sterne am Himmel stehen und wie viele Haare ein Schimmel hat?"
Da sagt der Koch: "So viele Sterne am Himmel stehen, so viele Haare hat der Schimmel."
"Wie weit sind Glück und Unglück auseinander?"
"Nicht mehr als eine halbe Stunde."
"Ja, wieso?" fragte der Kaiser.
"Vor einer halben Stunde war ich Koch und jetzt bin ich Prior."
"Bravo! Du bleibst Prior, und der muß Koch bleiben."
Quelle: Schwänke, Sagen und Märchen in heanzischer Mundart, Johann R. Bünker, Graz 1981 (ergänzte Auflage von 1906, hrsg. v. K. Haiding), Nr. 21, S. 53, zit. nach Sagen aus dem Burgenland, Hrsg. Leander Petzoldt, München 1994, S. 216f.