Das vermauerte Fenster auf der Kranichburg

Statt die östlichen Wagraine und Grenztürme zu bereisen, machte Grenzgraf Engelschalk der Jüngere Streifzüge nach den romantischen Schluchten, welche die Grenze Steiermarks und Kärntens bildeten.

Statt hinauszulugen ins offene Land, das Äug des Feindes zu erspähen, suchte er die sanften Blicke der edlen Kaiserstochter auf sich zu lenken, wenn sie von der hohen Kranichburg, wo sie erzogen wurde, in das Tal hinabsah, wo gegenwärtig zwischen Felsen, Fichten, Birken, Ulmen und Pappeln ein kleines Dörfchen emporblickt.

Statt tiefe Gräben um die Erdwälle ziehen zu lassen, befahl er dem Bösen, der die Person eines ihm ergebenen Dieners der Burg angenommen zu haben schien, eine Strickleiter zu verfertigen, auf der er zum Kammerfenster der Prinzessin emporklettern und sie zur Flucht bereden konnte.

Als Kaiser Arnulf des Grenzgrafen Verrat, der Tochter Flucht vernahm, die am Hofe Zwentibolds Schutz suchten und fanden, blieb ihm gegen diesen Feind kein anderes Mittel, als dem Beispiel der Römer zu folgen, nämlich des Beistandes der Magyaren sich zu versichern. Er ließ ihnen Plätze an der Theiß, Donau und March anweisen, zog mit ihnen vereinigt gegen Mähren und genoß das Vergnügen, Zwentibold besiegt zu sehen.
Grenzgraf Engelschalk wurde des Hochverrats überwiesen, zu Regensburg enthauptet und seine beträchtlichen Güter dem Stifte Kremsmünster geschenkt. Arbo wurde zum zweiten Male als Grenzgraf bestätigt, doch die Magyaren, im Besitz des großen mährischen Reiches, wollten dasselbe nicht mehr verlassen, und wurden seit diesem eine Geißel der Ostmark.

Die bösen Gäste zu entfernen, ward Kaiser Arnulf durch den Tod verhindert. Die Vormünder seines siebenjährigen Sohnes und Nachfolgers, Ludwig des Kindes, stellten ihnen zwar ein ansehnliches Heer entgegen, doch es wurde geschlagen. Der tapferer Anführer Luitpold blieb mit vielen Bischöfen, Äbten und Grafen auf dem Schlachtfeld, und die Magyaren drangen nun unaufhaltsam nach Sachsen, Franken und Schwaben vor. Kaiser Ludwig ward ihnen zinsbar. Er starb aus Gram im Jahre 910. Mit ihm erlosch der karolingische Mannsstamm.

Die Kranichburg ward bei einem dieser Streifzüge in einen Steinhaufen verwandelt, nur das seit der Flucht der Prinzessin vermauerte Fenster entging der Zerstörung.


Quelle: Franz Josef Trimmel ("Emil"), in: Terpsichore. Ein Taschenbuch für das Jahr 1835, S. 228ff (gekürzt), zit. nach Sagen aus dem Burgenland, Hrsg. Leander Petzoldt, München 1994, S. 177f.