Die Oberwarther Mäuseschlacht
In einem Oberwarther Gasthof kehrte vor mehr als vierhundert Jahren ein seltsamer Reisender zu.
Es war schon spät, als der Gast eintrat, und der Wirt zählte eben seine Tageslosung zusammen, die er in blinkeblanken Säulchen vor sich stehen hatte.
Unwillig wendete er sich nach dem spindeldürren Männlein um, das seine buckelige Mißgestalt unter einem faltigen schwarzen Mantel verborgen hielt. Der glatzköpfige Fremde hatte ein ausgesprochenes Vogelgesicht und äugte den zuwideren Leutgeb so scharf an, daß dem ganz kalt in der Herzgrube wurde.
Er verlangte eine gute Übernachtungsmöglichkeit und ein ebensolches Abendessen auf sein Zimmer, und der verdatterte Wirt sagte sogleich zu, obschon er eigentlich grob dazwischenpoltern wollte.
In das Fremdenbuch schrieb sich der späte Ankömmling als "Mäusedoktor" ein, ein Beruf, der dem kopfschüttelnden Herbergsvater ein nicht zu bannendes Gruseln erzeugte.
Das einzige Gepäck des unheimlichen Fremden war eine kleine Harfe, die er in schwarzes Tuch verpackt mit sich trug.
Am nächsten Morgen bot sich das verwachsene Männlein dem Rat des Ortes höflich als Mäusevertilger an und erklärte, er sei imstande, binnen eines Tages die gesamte Oberwarther Flur von den schädlichen kleinen Nagern zu befreien. Er begehrte jedoch dafür zehn Silberstücke, die ihm der Rat nach vollbrachter Arbeit auszuhändigen habe.
Die Ratsmänner wiegten nachdenklich die Köpfe. Weil aber Oberwarth damals besonders unter der Mäuseplage litt, so entschlossen sie sich nach dem üblichen Hin und Her, dem Mäusedoktor den Auftrag zu erteilen.
Der ließ einen kreisrunden tiefen Graben schaufeln, mit Wasser füllen, setzte sich mitten auf die entstandene Insel und begann seine Harfe zu schlagen.
Eine unsagbar traurige Melodie zirpte hauchfein in die Weite, so tränenschwer und wehmütig, daß alle Umstehenden eilends davonrannten, weil sie nicht öffentlich weinen mochten.
Dafür aber kamen die Mäuse angerannt. Zu Hunderten hopsten sie in ihren braunen, grauen und schwarzen Pelzröcklein dem Harfenspieler zu, fielen in den Graben und kamen elend im Wasser um.
Aus Küche, Keller, Scheune, Dachboden, aus Wiesen, Feldern, Gärten und Wäldern rannten sie wie von einer zwingenden Macht getrieben dem tödlichen Harfenklang nach, stauten sich vor dem Graben, wurden hineingedrängt und ertranken.
Der Mäusedoktor harfte ohne Unterbrechung bis zum Sonnenuntergang, dann waren ganze Heerscharen der grauen Nager tot und alle Mäuse vertilgt.
Als aber der unheimliche Fremde die vereinbarten zehn Silberstücke abholen wollte, lehnte der Rat seine Forderung schroff ab.
Mäusefang solcher Art sei gleichbedeutend mit sündhafter Zauberei, ein Teufelsblendwerk, das Oberwarth nicht auch noch mit klingender Münze lohnen wollte. So sagten die Herren.
Und weil der erboste Bucklige schreiend auf seinem Recht beharrte, drohten sie ihm mit Rad und Folter, wenn er nicht schleunig das Weichbild [Ortskern] des Ortes verlasse. Er sei ein übler Hexer und möge zufrieden sein, daß man ihm überhaupt Gelegenheit zum Entwischen gäbe, statt ihn dem Henker zu überantworten.
Da tat der bucklige Mäusedoktor keinen Mucks mehr, drehte sich um und verließ die Ratsstube.
Die Herren aber rieben sich die Hände und waren froh, so billigen Kaufs die schreckliche Mäuseplage und den unheimlichen Fremden losgeworden zu sein.
Und wie das schon so zugeht, so genehmigten sich die Herren noch einen ausgiebigen Abendschoppen nach dem leicht errungenen Sieg.
Spät in der Nacht wackelten die Ratsherren bettschwer heimzu. Der Bürgermeister jedoch hatte in seinem weinschweren Hirn den Entschluß gefaßt, noch einmal nach dem Mäusegraben zu schauen.
Als er hinkam, sah er zu seinem Zorn den buckligen Mäusedoktor auf der Insel sitzen.
Wütend wollte er auf das kahlköpfte Männlein losfahren. Doch da griff der Fremde leise in die Saiten und harfte ein so erschrecklich trauriges Lied, daß der Bürgermeister sogleich in unstillbares Weinen ausbrach.
Dabei war die Melodie von einer so todtraurigen Süße, daß der Bürgermeister immer näher gehen mußte, ob er wollte oder nicht, damit ihm ja kein Ton der leisen Harfenklänge entgehe.
Er sah nicht mehr den Spieler, er sah nicht den tiefen Wassergraben mit den toten Mäusen, er horchte nurmehr auf die Zaubermusik, denn die war so schön, überirdisch schön.
Um vier Uhr früh fand der Nachtwächter von Oberwarth den Bürgermeister ertrunken mitten zwischen den eklen Mäuseleichen liegen.
Der bucklige Mäusedoktor war nirgends mehr zu sehen.
Quelle:Die goldenen Lerchen. Geschichten und Sagen aus Oberösterreich, Niederösterreich und dem Burgenland, Hiess, Linz 1949, S. 180ff, zit. nach Sagen aus dem Burgenland, Hrsg. Leander Petzoldt, München 1994, S. 23ff.