Das Rätsel des Neusiedler Sees
Ein Binderknecht in dem Steirischen hatte es satt, Reifen auf alte Mostfässer anzutreiben und wandte sich nach Wien, wo er sich feinere Arbeit und mehr Verdienst erhoffte. Doch seine Hoffnung erwies sich trügerisch, und der Geselle fand trotz fleißigen Nachfragens keinen Arbeitsposten. Als er seinen letzten Groschen aufgezehrt hatte, veräußerte er sein Werkzeug, um aus dessen Erlös noch einige Tage leben zu können. Nur ein hölzerner Schlegel, wie ihn die Binder haben, verblieb ihm. Hadernd mit dem Schicksal, schlenderte er zur Donau hinaus, hoffend, daß er bei den Schiffern irgendwelche Arbeit fände. Als er auch hier auf taube Ohren traf, wurde er zornig und sagte:
"Wenn schon alles hin ist, brauche ich auch dich nicht" und warf den Schlegel [großer Hammer] in den Strom.
Ein Ruster Bürger, der zur selben Zeit über die Brücke fuhr, ward Zeuge dieses Zornausbruchs. Neugierig sprach er den Burschen an und ließ sich sein Mißgeschick erzählen.
"Aber, aber", meinte er teilnahmsvoll, als der Bursche seine Erzählung schloß, "nur die Nase nicht hängen lassen. Kommt mit an den Neusiedler See, unsere Meister werden sich freuen, einen fleißigen Gesellen zu bekommen. Rüster Wein reift auf den Gantern, auch Euer Glück wird heranreifen. Setzt Euch auf den Wagen, abends sind wir in Rust."
Der Geselle ließ sich das nicht zweimal sagen, kroch unter die Flache und fuhr in die berühmte Weinstadt.
Jahre waren seitdem verflossen, der Geselle von einst war schon selbst Meister, und seine Wohlhabenheit ließ ihm kaum eine Erinnerung an frühere schlechte Zeiten aufkommen. Da, eines Tages, als er mit der Zille langsam durch die Schlucht in den offenen See hinausfuhr, zog ein schwärzlicher Gegenstand im Röhricht seine Aufmerksamkeit auf sich. Er zog ihn heraus; es war ein Holzschlegel [Holzhammer]. Derselbe, den er in die Donau schleuderte, sein Merkzeichen stand darauf. Wie war der Schlegel in den See gekommen? Sollte zwischen diesem und der Donau eine unterirdische Verbindung bestehen? a)
*
Ein Bindergeselle, der von Deutschland in die Heimat zurückwanderte,
soll in Oberösterreich auf dem Donau-Strudel Schiffbruch erlitten
haben. Als Knabe an dem Neusiedler See erzogen, lernte er gut schwimmen,
und hierdurch rettete er sich aus der Gefahr des Todes; nur sein Bündel
und ein künstlicher Schlegel, in welchem er zehn Goldstücke
verborgen hielt, wurden von den brausenden Wogen verschlungen. Glücklich
kam er nach Ödenburg, verehelichte sich, wurde Meister und Bürger.
An einem schönen Sommertag ging er mit seiner Gattin am Ufer des
Sees lustwandelnd umher, da erblickten beide einen hundekopfartigen Körper
dem Ufer zuschwimmend; der Gegenstand kam immer näher, und als sie
sich seiner bemächtigten, wie erstaunte der Meister, als er in demselben
seinen verlorenen Schlegel erkannte, in welchem auch noch sämtliche
Goldstücke enthalten waren. b)
Quelle: Burgenländische Sagen, Adolf Harmuth,
in: Der freie Burgenländer, Nr. 4 vom 16. n. 1924, S. 14f, zit. nach
Sagen aus dem Burgenland, Hrsg. Leander Petzoldt, München 1994, S.
260f.
b) Denkwürdigkeiten der königlichen Freistadt Ödenburg
sowie auch sämtlicher Umgebung, Sigmund von Hárosy, München
1841, S. 24, zit. nach ebenda.