Der Schlangenreiter
1911 dürfte ich so zehn Jahre alt gewesen sein. Dann hab' ich einmal meinem Vater das Mittagessen auf die Weide hinausgetragen. Nachher kam ich nach Hause. Nicht weit von unserer Wohnung war ein Teich. Und da kam aus diesem Wasser ein junger Mann heraus. Er hat einen schwarzen Anzug angehabt, eine schwarze Krawatte, und er hatte eine Bibel in der Hand. Er hat nur so ein einfaches Kleid angehabt. Und einen schwarzen Umhang. Und einen Hut, auch ein Hut war auf seinem Kopf. Er kam aus dem Wasser heraus. Er las in dieser Bibel. Was er aber las, das hab' ich schon damals nicht gewußt und hab' darüber auch nicht nachgedacht, weil er von mir weiter entfernt war, so zehn Schritte.
Auf einmal kam eine Schlange aus diesem Wasser heraus. Eine Schlange. Er setzte sich auf ihren Rücken. Wo sie vorbeikam, dort stürzten die Bäume um. Und es wehte so ein Wind, daß er die Ziegel von den Dächern riß. Sie hat mit ihrem Schwanz so herumgeschlagen. Aber nicht überall stürzten die Bäume um, nur wo sie vorbeiflog. Die früheren Alten sagten, der Garabonciás diák wird schon so geboren. Und sein Rücken ist behaart. Und er geht in seinem siebenten Lebensjahr aus der Wohnung seiner Mutter fort. Er verläßt sie so, daß er weder Vater noch Mutter jemals wiedersieht. Er verschwindet von ihnen. Und wenn nun wieder ein solches Kind kommt, das wieder das sein wird, dann trägt es wieder dieselben Merkmale, wie die anderen trugen. Es ergeht ihm so wie den anderen. Bis zu seinem siebenten Lebensjahr. Dann verschwindet er.
Quelle: Angaben zu den abergläubischen Erzählungen aus dem südlichen Burgenland (Burgenländische Forschungen, H. 33), Karoly Gaal, Eisenstadt 1965, Nr. 261, zit. nach Sagen aus dem Burgenland, Hrsg. Leander Petzoldt, München 1994, S. 244.