Der Schloßhansl
Im Familienkreise der vorletzten Besitzer Bernsteins war die Behauptung der Bevölkerung allbekannt, daß der "Rote Iván" bald im inneren Burgtor vor der Schloßkapelle, bald vor dem Schloß, beim alten Nußbaum am Tümpel, wo seinerzeit das Tor der äußeren Umwallung gestanden haben muß, gewöhnlich in später Abendstunde gesehen worden sei: eine hagere, rothaarige Gestalt mit böse blickenden Augen, in ein rotes Wams gekleidet. Es gab in der Familie wenige, die den Aussagen der angeblichen Augenzeugen glaubten, meist wurde über die Furcht der Bauern gelacht. Am meisten wußten die Schloßknechte zu erzählen, die in den Häuslein am äußeren Burghof wohnten und deren Ahnen schon seit Jahrhunderten als Hörige innerhalb der Schloßmauern lebten.
In unserem Jahrzehnt starben die Enkel der letzten Hörigen als Greise weg, und die Nachrichten über die Spukerscheinungen gerieten in Vergessenheit oder gingen in der Gleichgültigkeit des Alltags verloren. Wenn heute einer oder der andere im Dorf noch eine Überlieferung über den "Schloßhansl" bewahrt, so hütet er sie wohl und läßt sie sich nur schwer entlocken. Unglaube der "aufgeklärten" Zuhörer und schon oft empfundener Spott verschließen ihm den Mund und lassen ihn jedes Wissen hartnäckig leugnen. Viel haben zur Diskreditierung der Erscheinung die Vermummungen und Maskeraden beigetragen, mit denen im Abenddunkel jüngere Mitglieder obiger Familie zeitweilig die Gäste und die Bevölkerung schreckten.
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So sieht im August des Jahres 1895 die im Kindbett liegende Schwiegertochter des Schloßherrn im halben Traumzustand einen Mann in Stulpstiefeln, verschnürtem roten Rock und brennroten Haaren die Freitreppe hinaufsteigen, hört ihn mit schweren dröhnenden Schritten den langen Gang entlanggehen. Er bleibt vor der Tür des Nachbarzimmers, in dem der am Abend auf die Welt gekommene Knabe schlummert, stehen, schüttelt gegen ihn wild drohend die Fäuste und bricht in ein wüstes Hohngelächter aus. Die Mutter fährt erschrocken auf und fragt die am Bette sitzende Wärterin, wer so grell aufgelacht habe, wird aber von derselben beruhigt, daß sie geträumt habe. Erst nach Wochen hört sie dann durch Zufall über die angebliche Existenz des "Roten Iván" und wird aufgeklärt, daß die von ihr beschriebene Gestalt mit der des Volksglaubens identisch sei. (120)
Im Frühsommer des Jahres 1913, etwa um elf Uhr abends, werden die
Tochter des Hauses und ihre Kusine in der Abenddämmerung durch dieselben
dröhnenden Schritte am Gang erschreckt, wobei gleichzeitig alle Türen
des Raumes, in dem sie sich befinden, ferner die der Nachbarzimmer und
die aller Schränke aufspringen. Die jungen Damen eilen mit einer
elektrischen Taschenlaterne auf den Gang. Unmittelbar an ihnen vorüber
dröhnen die Schritte, begleitet von einem metallisch schleppenden
Geräusch, ohne daß irgendeine Gestalt zu sehen war. Die Türe
am Ende des Ganges fällt krachend ins Schloß.
Ein sofortiges Nachsuchen ergab, daß in den in Frage kommenden Räumen alles leer und niemand verborgen war, im Stiegenhaus jedoch das Wappen Iváns von Güssing, das an der Wand ziemlich hoch angebracht war, zerbrochen am Boden lag.
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Im Sommer 1921 hören die Tochter des Hauses und ihr Mann in den ersten Nachmitternachtsstunden, obwohl zwischen ihren am bewußten Gange liegenden Schlafzimmern noch ein Salon liegt, zu gleicher Zeit dieselben schweren Schritte, die lärmend über die Steinfliesen des Ganges stampfen. Vor derselben Tür, vor welcher die rothaarige Gestalt Vorjahren die Drohgebärde vollführt hatte, bleiben die Schritte auf einen Augenblick stehen, um sich dann in entgegengesetzter Richtung wieder zu entfernen. Die Türen des fraglichen Traktes waren von innen verriegelt, und wieder blieb die Provenienz der Schritte unaufgeklärt.
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Auch ein kriegsgefangener russischer Gardeoffizier hat die Gestalt gesehen und von ihrem Äußeren eine genaue Beschreibung gegeben. In einem Zimmer des ersten Stockes wacht derselbe, der erst seit einigen Tagen im Schloß wohnt und vorher weder von der Geschichte noch von den Sagen des Schlosses etwas gehört hat, um zwei Uhr nachts plötzlich auf und sieht in der Mitte seines kleinen Zimmers in intensivem Licht eine aufrecht stehende hohe Männergestalt vor sich. Die Gestalt hat einen leichten ungarischen Helm auf dem Kopf und trägt einen Kettenpanzer am Leib, der die Ärmel eines roten Wamses sehen läßt. Gelbe Handschuhe, rote Hosen und braune Stiefel vervollständigen die Kleidung der Erscheinung. Das Gesicht derselben ist vom Helm beschattet. Als der Offizier, in der Meinung, einer seiner mitgefangenen Kameraden mache mit ihm einen Scherz, die Gestalt anspricht, tritt sie plötzlich näher, beugt sich über ihn und zeigt dem Erschreckten das bleiche, von einem roten Bart umrahmte Gesicht eines etwa fünfzigjährigen Mannes mit kaltem, grausamem Blick in den Augen. Plötzlich verschwinden Lichtschein und Gestalt.
Der im selben Zimmer schlafende Kamerad des Offiziers, der auf seinen
Aufruf aufgewacht ist, hat überhaupt nichts gesehen. Die Tür
ihres Zimmers war, wie sie sich gleich überzeugten, von innen verriegelt
Quelle: Schloß Bernstein im Burgenland, W. Erwemweig, Bernstein 1927, S. 48ff, zit. nach Sagen aus dem Burgenland, Hrsg. Leander Petzoldt, München 1994, S. 125ff.