Der tote Priester

Einmal gingen mein Vater und meine Großmutter, als er (noch) klein war, Erdäpfel stehlen. Nun sagte meine Großmutter:

"Komm, mein Sohn, mit mir, gehen wir uns um ein paar Stauden Krumme."

"Ich gehe nicht", sagte mein Vater.

"Warum gehst du nicht?"

"Ich gehe nicht, weil sie mich erwischen."

So lange trieb ihn meine Großmutter, so ging er mit ihr. Sie nahmen mit sich: eine Haue mit einem kurzen Stiel und zwei Säcke.

Wie sie auf den Acker kamen, so fing meine Großmutter an, Erdäpfel zu graben. Auf einmal sah mein Vater und sah, daß niemand kommt. Wieder sah mein Vater, und er sah vor sich, so bei dreißig Schritt, den toten Priester.

"He, Mutter! He, Mutter! Mutter! Sieh! Hier ist der Priester!"

"Waas? Der Priester? Wo ist er denn?"

"Dort, dort ist er!"

Dann sah ihn auch meine Großmutter. Und sie ließen die Erdäpfel und mit den Säcken und auch mit der Hacke stehen. Mein Vater war ein junger Bube, und beinahe hat er auch seine Hose verloren.

"Ich gehe mit dir nicht mehr stehlen, damit mich der tote Priester erwischen kann."

(Am) anderen Tag ging meine Großmutter (nach)sehen, was mit den Säcken und mit den Erdäpfeln los ist. Sieh, hier sind sie.

Aber meine Großmutter ging und leerte die Erdäpfel aus auf den Acker, Und die Säcke brachte sie nach Hause. Und seit jener Stunde ging sie nicht mehr auf eines toten Menschen Acker zu stehlen.


Quelle: Romani-Texte aus dem Burgenland (Burgenländische Forschungen, H. 24), Johann Knobloch, Eisenstadt 1953, S. 39, Nr. VIII, zit. nach Sagen aus dem Burgenland, Hrsg. Leander Petzoldt, München 1994, S. 271f.