Das Türken-Annerl
Zu jenen Zeiten, da die zahllosen Reiterscharen der Türken gegen das Abendland anrannten, kamen vereinzelt auch starke Horden in die Gegend am Neusiedler See. Sie mordeten und plünderten dort nach gewohnter Weise und verschonten weder Weib noch Kind.
Weil aber die Heinzenbauern, die dort siedelten, in kluger Voraussicht ihre Dörfer mit guten Schutzverhauen und Mauern umgeben hatten, konnten sie in die Ortschaften selbst nicht eindringen.
So lagerten die Janitscharen also im Vorfeld gegen den See zu. Wehe dem, der ihnen in die Hände fiel.
Besonders zwei türkische Unterführer, die in der Gegend des befestigten Purbach Furcht und Schrecken verbreitet hatten, schufen sich durch ihre unmenschliche Grausamkeit einen bösen Ruf.
Als alle Fischerhäuser am Rohr und alle Gehöfte der Hauer an den Hängen der Leithaberge in Flammen aufgegangen waren, zogen sie nach Mittag weiter.
So kamen die morgenländischen Horden auch vor Donnerskirchen.
Tag und Nacht berannten sie den tapferen Ort; aber an der Umsicht seiner
Bewohner und an deren Opferwillen zerschlug sich jeder Angriff. Grollend
und unheilbrütend zogen sich die beiden Unterführer wieder in
die Rohrwildnis um den See zurück.
Nun wollten die fremden Reiter das Dorf durch Hunger niederzwingen. Woche um Woche verging, und kein Donnerskirchner durfte es wagen, die schirmenden Dornverhaue und Schutzmauern zu verlassen. Wolken anschwirrender Pfeile scheuchten sie sofort zurück.
Nachts klang das Geschrei der Gemarterten und Gefangenen schauerlich über das Land. Rot war der Himmel bis Eisenstadt hinunter. Die Janitscharen brachten Tod und Verderben.
Als die Not am größten war und die Menschen vor Hunger mitten in der langen Dorfzeile zusammenbrachen, wurde das Annerl, die Tochter des Schulzen, zur Retterin ihrer Heimat.
Todesmutig ließ sie sich vor die zwei blutgierigen Unterführer bringen und versprach, ihnen einen heimlichen Einstieg über die Mauer zu zeigen.
Die beiden Asiaten waren von ihrem Liebreiz betört und sogleich mit dem Plan einverstanden. Freilich hielten sie das brave Mägdlein in ihrem Lager fest und vergnügten sich den Tag über in der Zeltstadt im Rohr auf ihre Weise.
Doch als der Mond aus seinem Silberbad im See stieg, da folgten sie dem Annerl heimlich.
Sie krochen durch den Rauchfang des väterlichen Hauses, nahmen auch zwanzig Bewaffnete mit, und landeten schließlich allesamt in der Speckkammer.
Soweit ging alles gut und planmäßig. Als jedoch das Annerl dann die Tür aufriß und schnell entwischen wollte, schlug sie der eine Janitschare mit seinem krummen Säbel nieder. Die lauernden Bauernburschen kamen leider zu spät.
In ihrer Wut erschlugen sie die eingedrungenen Türken schonungslos und vertrieben auch die führerlos Gewordenen im Rohr.
Die Erschlagenen wurden auf dem Schindanger verscharrt, doch siehe da, schon am nächsten Tag lagen die Leiber der beiden türkischen Unterführer wieder bloß.
Man begrub sie abermals, und wieder lagen sie am nächsten Morgen frei.
Dies wiederholte sich einige Male, jedesmal mit dem gleichen Ergebnis.
Schließlich ruderte man die zwei toten Bluthunde auf den Neusiedler
See hinaus und versenkte sie dort.
Doch der See spie sie wieder an Land. Er wollte sie nicht haben.
So schaufelte denn das ganze Dorf auf dem Hang zum Leithaberg zwei Riesengruben.
Dort warf man die zwei Janitscharenführer hinein und schichtete einen
gewaltigen Haufen Steine darüber. Nun mußten sie wohl in Ewigkeit
stille liegen.
Aber selbst diese unheimliche Last bog die gute Mutter Erde hoch. Wie zwei Geschwüre wölbten sich hügelhoch die Gräber empor, als wollte sich der Boden wehren, zwei derartige Unmenschen zur letzten Rast zu beherbergen.
Seit dieser Stunde hat Donnerskirchen zwei riesige Grabhügel am Leithaberg vom Blut und Leid der Ahnen.
Die tapfere Tochter des Donnerskirchner Schulzen lebt aber bis zum heutigen
Tag als Türken-Annerl im dankbaren Gedächtnis der Bewohner weiter.
Quelle: Die goldenen Lerchen. Geschichten und Sagen aus Oberösterreich, Niederösterreich und dem Burgenland, Hiess, Linz 1949 , S. 254ff, zit. nach Sagen aus dem Burgenland, Hrsg. Leander Petzoldt, München 1994, S. 165ff.