Die versunkene Glocke
Böse Kriegszeiten waren über das Land hereingebrochen. Die räuberischen Kuruzzen (ein Volksstamm) waren im Anmarsche, Furcht und Schrecken verbreitend. Die Leute versteckten ihr Vieh in sicheren Schlupfwinkeln in den Wäldern und vergruben den wertvollsten Hausrat, damit ihr Hab und Gut nicht geraubt werde.
Auch in Olbendorf herrschte große Aufregung, als es eines Tages hieß:
"Die Kuruzzen kommen!"
Die Bewohner des Dorfes hatten sich schon zur Flucht bereit gemacht. Da rief plötzlich ein Bauer:
"Unsere große, volltönende Glocke im Schloßturme dürfen wir den Kuruzzen nicht in die Hände fallen lassen! Nehmen wir die Glocke rasch herunter und vergraben wir sie!"
Als diese Arbeit getan war, flüchteten sie. Der Feind fand beim Einzüge in das Dorf nur die leeren Häuser vor
Als der Friede wieder eingekehrt war, ging man daran, die Glocke auszugraben.
"Diese Arbeit muß aber schweigend getan werden", sagte einer, "sonst verschwindet die Glocke in der Tiefe."
Schon waren die Spaten bis zur Krone der Glocke gedrungen. Beim ersten hellen Klang, der ertönte, fing aber jemand zu reden an. Sofort versank die Glocke.
Am Fuße des Schloßberges quillt noch heute ein Brünnlein,
auf dessen Grund die versunkene Glocke ruhen soll.
Quelle: Lesebuch für die burgenländischen Volksschulen, Adolf Parr, Teil II, Wien/Leipzig 1929, S. 222f, zit. nach Sagen aus dem Burgenland, Hrsg. Leander Petzoldt, München 1994, S. 148.