Die Wetterhexe

In der Nähe der Hofmühle bei Rechnitz wohnte eine Frau, die als Hexe verschrien war. Einmal sagte sie zu einer Taglöhnerin:

"Du, Liesl, morgen komm zeitlich. Wir wollen, bevor wir noch aufs Feld gehen, sechten [einweichen] und waschen."

Da die Leute dazumal noch keine Uhren hatten und die Zeit nach dem Sternenstand bestimmten, ging die Taglöhnerin, als sie eben aufwachte, in das Haus der Frau. Es -war aber noch nicht Mitternacht. Im Hause fand sie alles offen, in der Küche war niemand. Als sie aber in das Zimmer hineinsah, gewahrte sie in dessen Mitte eine große Rein [Becken, Schüssel], aus der eine große gelbe Kugel herausstand. Entsetzt schrie sie auf und floh hinaus. Da kam vom Garten die Hausfrau mit einem Sechter [Holzgefäß] Milch herzu.

"Warst im Zimmer?" fragte sie.

"Nein!" schrie die Taglöhnerin, lief nach Hause und war vierzehn Tage lang krank.

In der Hofmühle stand das Rad schon die längste Zeit still. Es war große Trockenheit. Jene Frau kam zum Müller und fragte:

"Wann kann ich mahlen?"

Dieser lachte. "Siehst ja, daß kein Tropfen Wasser im Bache ist."

Die Frau aber meinte: "Ich werde doch meine Frucht [mein Getreide] auf die Groß [auf das Gras] krechteln [bereitmachen]!"

Sie tat es, und bald stiegen kleine Wölkchen auf, die sich so rasch vergrößerten, daß ein fürchterlicher Regen mit Hagel hereinbrach, der die Mühle fast fortgeschwemmt hätte.


Quelle: Adolf Parr und Ernst Löger, Sagen aus dem Burgenland, Anton Mailly Wien/Leipzig 1931, Nr. 50, zit. nach Sagen aus dem Burgenland, Hrsg. Leander Petzoldt, München 1994, S. 69f.