In der Allerseelennacht
An einem Allerseelentage war es, als ein alter Totengräber zu Greifenburg um Mitternacht in der Friedhofskapelle Kerzen brennen sah und ein Stimmengewirr vernahm. Da er kein Hasenfuß war, trat er ein. Aber wie erstaunte er, als er am Altar einen fremden Priester erblickte. Die Kirche war ganz mit Manschen gefüllt; auch er nahm in der letzten Bank Platz, wo nur eine alte Frau saß. Nach einiger Zeit wendete ihm diese ihr Gesicht zu und er erkannte mit Schrecken in ihr seine längst verstorbene Taufpatin. Auch sie erkannte ihn und flüsterte ihm zu: „Entferne dich schnell, denn wenn du bemerkt wirst, ist es um dich geschehen. Laß jedoch deinen Rock an der Friedhoftür fallen.“ Der Totengräber machte sich aus dem Staube und befolgte den Rat seiner Patin. Kaum hatte er den Friedhof verlassen, als es ein Uhr schlug und es ihm vorkam, als ob die Toten wieder ihre Gräber aufsuchten.
Am Morgen erzählte er den Leuten sein nächtliches Erlebnis, doch sie lachten ihn aus und keiner glaubte daran. Als sie aber auf den Friedhof kamen und auf jedem Grabe ein Stück seines Rockes fanden, blieb ihnen nichts anderes übrig, als seinen Worten Glauben zu schenken.
Quelle: Georg Graber, Sagen aus Kärnten, Graz 1941.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Harald Hartmann, Februar 2006.
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