Von der Kirche Alt-St. Leonhard im Loibltale
Einmal fuhr eine Gräfin auf der Loiblstraße und wollte über den Loibl. Ungefähr eine Stunde vor dem Passe standen drei Fichten an der Straße. Dort stieg sie aus und gab einen Seufzer von sich, weil sie keine Kinder hatte. Nach Hause gekommen, gebar sie zwei Knaben. Die Gräfin hatte darüber eine große Freude und nahm sich vor, an diesem heiligen Orte eine Kirche bauen zu lassen. Gleich darauf schickte sie Bauleute in das Land. Das waren Riesenmenschen. Dreimal so groß als unsere größten Männer. Die großen Bauleute brauchten beim Baue der Kirche gar kein Gerüst und keine Pfeiler, und deshalb entbehrt der Bau noch heute jedes Gerüstes und Pfeilers.
Oberhalb der Kirche stand eine Buche, die immer grün war. Dort wuchs der heilige Leonhard aus einem Felsen, der im Volksmunde „črna peč", d. i. schwarzer Felsen, heißt, heraus. Man fand den Heiligen schon fertig ausgewachsen und brachte ihn in das Gotteshaus. Als man ihn vom Standorte fortgebracht hatte, verdorrte die Buche.
Ein Mann, der ohne Sünde war, konnte den Heiligen aufheben. Einmal trug man den heiligen Leonhard nach Kappel an der Drau, damit er dort die Kirche schmücke. Doch Leonhard behagte es dort nicht und er ging von selbst wieder nach Loibltal. Dreimal geschah dies. Bei einem solchen Gange - St. Leonhard hat immer menschliche Gestalt angenommen - begegnete er auf der Sapotnitza dem Bauer Spitzer aus Loibltal, als dieser an einem Sonntagmorgen nach Kappel zur Messe gehen wollte. Auf Leonhards Frage, wohin er gehe, antwortete ihm der Bauer. Leonhard sagte zu ihm: „Komm zurück, es folgt ja der Dechant hinten nach, der wird heute in Loibltal Messe lesen." Doch der Bauer schien den Worten des Unbekannten nicht zu glauben und ging nach Kappel. Als er zu Hause angekommen war und erfuhr, daß er sich den weiten Weg hätte ersparen können, rief er aus: Ich hatte halt doch diesem Fremden glauben sollen!"
Vor etwa 90 bis 100 Jahren wurde ein Verbrecher in Handfesseln auf den Loibl geführt, er sollte nach Krain gebracht werden. Oben angekommen, sprang er über die Riese hinunter zur Kirche und bat St. Leonhard, sich seiner zu erbarmen, er wolle in Hinkunft ein anständiger Mensch werden. Leonhard erhörte ihn, und die Ketten fielen von selbst ab. Der Befreite machte einen Kratzer mit dem Fuße und die Ketten verschwanden im entstandenen Loche. Er entging seinen Verfolgern. Jedes Jahr kam er einmal des Nachts zu seinem Retter beten.
Der heilige Leonhard befindet sich jetzt, da die Kirche Alt-St. Leonhard schon etwa 60 Jahre dem Verfalle preisgegeben ist, in einer Kapelle an der Straße unterhalb der neuen Kirche. Die Leute behaupten von ihm, daß er mit jedem Tag größer werde. Er ist ein besonderer Freund der Soldaten und hilft ihnen am liebsten.
Quelle: Georg Graber, Sagen aus Kärnten, Graz 1941.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Harald Hartmann, Februar 2006.
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