Das Anmelden
1. Ein Bauer im Görtschitztal, der weder an Gott noch an die Heiligen glaubte, verlor in kurzer Zeit seine drei Kinder und bald hernach auch seine Gattin. Am dritten Tage nach ihrem Tode klopfte es bei Nacht an seine Tür. Er meldete sich nicht. Da schloß jemand leise die Tür auf und trat an sein Bett. Erschrocken richtete er sich auf und fragte: „Anna, bist du’s?“ worauf seine verstorbene Frau zur Antwort gab: „Ja, Karl, ich bin’s und wo ich bin, sind noch viele.“ „Was willst du?“ fragte er. „Meine Mutter hol' ich“, klang es hohl und leise zurück, dann war die Erscheinung dahin.
Von plötzlicher Unruhe erfaßt, stand der Mann auf, ging hinauf in die Stube seiner Schwiegermutter und fand diese tot im Bette. Von der Stunde an, so erzählt man, war er gläubig und fromm.
2. In einem Orte des Liesertales saß eine Häuslerin mit ihrer Tochter in der Stube. Sie lauschten dem Klang der Abendglocke und beteten still vor sich hin den „Englischen Gruß“. Da auf einmal ward der stille Friede gestört und die beiden Frauen fuhren entsetzt auf. Es klirrte wie von brechendem Glas, sie stierten ängstlich nach der Richtung des Geräusches und bemerkten in der Ofenecke glitzernde Scherben. Ein Krüglein war vom Herdgesimse herabgestürzt und lag nun zerbrochen auf dem Boden. Das machte sie überaus traurig. Denn es geht im Volk ein alter Glaube, daß Krüge, die ohne sichtbare Ursache zu Boden fallen und brechen, den Tod eines Freundes ankündigen.
Die Frauen legten sich beunruhigt schlafen und sahen mit Bangen dem nächsten Tag entgegen. Da hatte die Häuslerin einen sonderbaren Traum. Sie stand an der Lieserbrücke und sah viele Frauen in weißen, wallenden Tüchern herankommen. Sie traten ans Wasser und ließen die Tücher im Flusse wogen unter Wehklagen und Seufzen. Dann zogen sie wieder ab, ernst und stumm wie sie gekommen, und wandten sich einem nahen Häuschen zu. Bald ertönten darin klagende Stimmen, sie klangen wie ein Totengebet. Nun erkannte die Frau im Traume, daß der zerbrochene Krug ihr recht geweissagt, denn in dem Häuschen wohnte ihre einzige, alte Freundin. Sie setzte sich am Ufer nieder und brach in Tränen aus.
Als sie morgens aufwachte, erzählte sie den Traum ihrer Tochter und sprach zu ihr: „Heute wirst du meiner alten Freundin einen Liebesdienst erweisen müssen. Du hast ja schon oft Tote gekleidet und zum langen Schlaf gebettet.“ Da klopfte es an die Tür und herein trat die Magd der Nachbarin und erzählte schluchzend, daß ihre gute, liebe Herrin gestern um elf Uhr abends gestorben sei. Um eben diese Stunde hatte der Krug ihren Tod „angemeldet“.
Quelle: Georg Graber, Sagen aus Kärnten, Graz 1941.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Harald Hartmann, Februar 2006.
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