Der Berggeist und der Wilderer
Ein armer Bauer, der mit seiner Hände Arbeit die Seinen nicht ernähren konnte und sich aufs Wildern verlegte, wurde schon seit langer Zeit von den Jägern, die weniger um der Pflicht als um der Freude willen nach dem Armen fahndeten, verfolgt. Eines Abends kam ein Mann in sein ärmliches Haus und bat um Nachtherberge. Gerne wies ihm der Bauer eine Liegerstatt an. Am nächsten Morgen - es war ein Feiertag - schickte er sich an, für seine hungernde Familie einen Wildbraten zu beschaffen und war eben im Begriffe fortzuschleichen, als der Fremde kam und sagte: „Geh du fort zur Kirche, ich will an deiner Statt den Birschgang wagen. Mttags, wenn du heimkommst, findest du den Hirsch hinter dem Laubentore liegen.“ Ohne Widerspruch gehorchte der Bauer, der Fremde aber schlug sich in den Wald, ganz wie der Bauer in Kleidung und Gestalt. An diesem Morgen lauerten die Jäger dem Wilddiebe auf. Nun kam der Gesuchte, ein Schuß krachte und ein kräftiger Vierzehnender lag am Boden. Ihrer fünf stürzten rasch aus dem Gebüsch hervor, fingen den vermeintlichen Bauer und führten ihn gefesselt nach der Gerichtsstätte. Mittlerweile war der rechte Bauer von seinem Kirchgänge zurückgekehrt und auf den Platz gekommen, wo der Hirsch zu wechseln pflegte. Da gewahrte er das erlegte Tier, lud es freudig auf und eilte seiner Behausung zu, wo über den unverhofften Festtagsbraten heller Jubel herrschte. Der Gefangene aber war niemand anderer als ein Berggeist. Das erwies sich später auf folgende Art: Die Jäger, ihres Fanges froh, marterten den Wilderer in unmenschlicher Weise und warfen ihn schließlich in das Verlies der Herrenburg, wo sie ihn seinem Schicksale überließen. Tags darauf begaben sich zwei von ihnen hinunter, um nach dem Gefangenen zu sehen; doch welch ein Schreck! Ein furchtbarer, feurig funkelnder Berggeist stand an dessen Stelle. Furcht und Zorn, der die Jäger bei diesem Anblicke erfaßte, tötete sie auf der Stelle. Auch die übrigen entgingen der Strafe nicht. Der Berggeist aber blieb nun im Burgverlies und trieb dort sein Unwesen, bis man ihn in einen Almsee bannte, wo er heute noch furchtbar wütet. Der Erzähler glaubt sein Toben selbst vernommen zu haben.
Quelle: Georg Graber, Sagen aus Kärnten, Graz 1941.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Harald Hartmann, Februar 2006.
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