Der Waldmann

In der Gegend bei den Dörfern Mieeger, Saager und Kohldorf im Rosentale soll ein bärtiger Waldmensch gehaust haben. Von diesem wird erzählt, daß er alle Abend zu einem Bauer in den Backofen schlafen kam. Die Bäuerin des Hauses pflegte ihm alle Tage eine Schüssel Milch hineinzugeben. Er trank diese immer aus. Eines Tages gaben sie zur Milch Schnaps. Er trank den Inhalt wieder aus und wurde so stark betrunken, daß er nicht von der Stelle kommen konnte. Die Leute des Hauses befragten ihn jetzt um verschiedenes. Er gab auf alle Fragen Antwort, sagte aber beim Scheiden: „Alles habt ihr mich gefragt, was nicht notwendig war, das aber nicht, was notwendig ist, nämlich, was das Kreuz in der Nuß bedeutet.“ Er ging dann fort und kam nicht mehr zu seinem Schlaforte. Es wird erzählt, daß er bei Nacht auch Jagd gemacht habe. Er besaß nämlich sehr viele Hunde. Die Leute in den Dörfern hörten ihn öfters, wie er den Hunden nachschrie: „Ho Hop, ho Hop“ und dabei mit seiner großen Peitsche knallte. Es war öfters ein fürchterliches Geschrei in den Wäldern zu hören, die Hunde bellten sehr laut. Es wird erzählt, daß ihn einer einmal verspottete, wie er in den Bergen den Hunden nachschrie. Darüber wurde er sehr zornig und kam pfeilschnell an die Stelle. Der Spötter erschrak so, daß er fast nicht in das Haus kam, wenn er auch nur zwei Schritte davon entfernt war. Der Waldmensch kam pfeilschnell daher, aber der andere war schon im Hause. Die Leute sagen, daß dieser nur bis zum Hausdach ein Recht habe. Deswegen durfte er ihm auch nichts antun. Wenn der Waldmensch zornig war, so wuchs er sehr schnell, so daß er öfters größer war als seine Umgebung. Wenn er einem während der Jagd begegnet, muß man sich auf die linke Seite des Weges niederliegen, sonst ergeht es einem schlecht. Auf der Jagd hatte er auch verschiedene Werkzeuge mit, z.B. Hacken. Als einmal ein Bauer ihm begegnete und sich auf die unrichtige Seite niederlegte, hieb er ihm eine Hacke in den Rücken. Niemand war imstande, diese zu entfernen. Er ging zum Propst nach Gurnitz und fragte ihn, was zu beginnen sei. Dieser sagte, er solle nach Jahresfrist am bestimmten Tage wieder an die Stelle gehen, wo das geschehen sei. Er tat dies. Der Waldmensch kam wieder mit seinen Hunden in des Mannes Nähe und nahm ihm die Hacke heraus. Dabei sagte er: „Aha, hier ist der Holzblock, worein ich meine Hacke gehauen habe.“

Quelle: Georg Graber, Sagen aus Kärnten, Graz 1941.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Harald Hartmann, Februar 2006.
© digitaler Reprint: www.SAGEN.at