Die Mutter Gottes von Diex
In der Nähe des steirischen Wallfahrtsortes Mariazell steht eine Holzstatue, die Mutter Gottes auf dem Pferde darstellend; sie soll früher ihren Standplatz in der Kirche zu Diex gehabt haben. Wie es kam, daß sie aus Diex verschwand, erzählt die Sage so: Die Nacht vor dem großen Frauentage verbrachten die Bewohner von Diex, statt durch heilige Ruhe den anbrechenden Festtag zu weihen, im Wirtshause. Laute Gesänge schollen in die Nacht hinaus, und der Lärm der Kegelspieler drang bis ins Gotteshaus, so daß die Gnadenmutter die ganze Nacht keine Ruhe hatte. Ja, mehrere besonders übermütige Burschen trugen die Statue aus der Kirche und benützten sie beim Kegelspiel als Königin. Als am Morgen das Volk in die Kirche kam, war der Altar leer, das wundertätige Bild verschwunden. Man konnte sich diese seltsame Tatsache nicht sofort erklären, und die verschiedensten Ansichten wurden laut. Da gingen die Leute auf die Suche und fragten zunächst im Orte, dann in der weiteren Umgebung nach dem verschwundenen Bilde, aber nirgends fand man es. Die Heilige aber hatte in jener Nacht den Knecht des Besitzers Gotschmar geweckt; er mußte aufstehen und ein Pferd aus dem Stalle bringen. Maria ritt nun, von dem Knechte begleitet, aus der Gegend fort, wo man ihre Anwesenheit so schlecht zu würdigen wußte. Das Ziel des nächtlichen Rittes war Mariazell in Steiermark. Beim Fortgehen soll sie noch gesagt haben: „Weil die Diexer mir an einem heiligen Feste die ganze Nacht keine Ruhe gönnten, werden sie künftig nach Mariazell kommen müssen, wenn sie Brot haben wollen." Das erfuhr man von dem Knechte, der am nächsten Tage aus Steiermark zurückkehrte, aber bald darauf gestorben sein soll. Daher unternehmen die dortigen Bauern noch jetzt alljährlich am Pfingstdienstag eine Wallfahrt nach dem steirischen Gnadenorte. Sobald sie diese unterlassen, so heißt es im Volke, wird keine Ernte mehr gedeihen.
Quelle: Georg Graber, Sagen aus Kärnten, Graz 1941.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Harald Hartmann, Februar 2006.
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