Ferm und sein Freund

In Berg, einem Dorfe bei Rosegg, wohnte ein Bauer, der unter dem Namen „der alte Ferm“ im ganzen Rosentale bekannt war. Er hatte einen Freund, mit dem er sich besonders gut verstand und alles Mögliche besprach. So gaben sich die beiden einst das Versprechen, daß der, welcher zuerst sterbe, zurückkommen und erzählen müsse, wie es in der anderen Welt sei. Es geschah nun, daß der Freund des alten Ferm starb. Am dritten Abende nach dessen Tode begab sich Ferm eben zu Bette, des alten Versprechens schon lange nicht mehr gedenkend.

Als die Wanduhr zwölf schlug, wurde er mit einem Male durch ein Geräusch geweckt, und er erkannte alsbald die Stimme seines Freundes, der an der Türe pochte und ihn dringend bat, hinauszukommen. Ferm, dem es unheimlich zumute ward, zögerte anfangs, doch es blieb ihm nichts anderes übrig, als der Aufforderung zu folgen. Als er vor die Türe trat, bat ihn der Verstorbene, mit ihm zu gehen. So wanderten sie miteinander, Seite an Seite, die ganze Nacht hindurch und führten ein lebhaftes Gespräch, denn der Verstorbene hatte viel, sehr viel zu erzählen. Aber den Inhalt seines Berichtes durfte kein Mensch erfahren, und Ferm mußte hoch und teuer versprechen, daß er darüber schweigen werde. Endlich kamen sie zur Draubrücke, wo das Mauttor ihrer Wanderung ein Ziel setzte. Doch als sie hinkamen, ging es von selbst auf und beide schritten über die Brücke. Dann schlug der Tote die Richtung nach Klagenfurt ein. Eben läuteten die Stadtglocken den Morgengruß, als die Wanderer vor der Kapuzinerkirche anlangten. Die Tür öffnete sich, noch ein letztes Lebewohl, und dann verschwand der Verstorbene, um nie wiederzukehren.

Quelle: Georg Graber, Sagen aus Kärnten, Graz 1941.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Harald Hartmann, Februar 2006.
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