Das „Freimannsloch“ in der Stangalpe
Am Südabhange des Stangnocks, eines Berges, der im Süden dem Königsstuhl vorgelagert ist, breitet sich die Stangalm aus. Hier kann der vom Schicksal Begnadete in der Walpurgisnacht das Freimannsloch finden und den unermeßlichen Schatz heben, welcher von einem weitbekannten Unhold, dem Freimanne, bewacht wird. Wer es recht anzustellen weiß und die nötige Vorsicht übt, kehrt mit Reichtümern beladen ans Tageslicht zurück. Wie all das Gold in jenen Berg gelangte, berichten folgende Sagen:
1. Zur Zeit, als das liebliche Gmündtal noch von einem großen See bedeckt war, standen tief im Kremstale zahlreiche Eisenwerke. Eifrig grub man nach dem Erz, woraus man Eisen schmolz, das wieder zu Stahl gehärtet wurde. Ebenso eifrig waren die Werksherren bemüht, das unedle Metall für edles umzutauschen. Tag für Tag rollten ganze Reihen von Fuhrwerken hinaus in alle Welt und kamen nach langem goldbeladen zurück. Einmal schickte der Verweser acht Fuhrwagen auf einmal nach dem Orient und erhoffte davon besonderen Gewinn. Denn für Stahl wurde dort Gold, für Eisen Silber in gleichem Gewichte gegeben. Mit so viel Geld beladen, kamen die Wagen in der bestimmten Zeit zurück.
Als aber zur Zeit eines großen Krieges die Unsicherheit im Lande von Tag zu Tage stieg, begab sich der Verweser, vom Freimanne (Henker) des Ortes begleitet, auf die Stangalm und ließ geldbeladene Karren, welche mit Ochsen bespannt waren, zur Höhe ziehen. In einem tiefen, finsteren Loche verbarg er die unermeßlichen Schätze und führte, das Ende des Krieges abwartend, mit dem Freimanne ein eintöniges Leben auf der Alm. Diesen erfaßte allmählich die Begierde nach dem Schatze, und eines Tages hieb er dem Verweser mit seinem Schwerte den Kopf ab und war nun alleiniger Herr des Geldes. Aus Angst, daß es ihm gestohlen werde, konnte er sich nicht mehr davon trennen und blieb auf dem Berge, bis er starb. Auch nach seinem Ableben hütet er als böser Geist die Grube, davon heißt sie das Freimannsloch. Feindlich zeigt er sich jedem, der dem Schatze naht, nichts gönnt er davon dem Menschen. Nur wer die Beschwörungsformel kennt, dem muß er weichen. Doch diese allein genügt noch nicht; der Schatzsucher muß vorerst den Totenkopf des Verwesers finden, welcher in der Nähe der Grube liegen soll, und mit dem rechten Fuße daran stoßen, daß er den Berg hinabkollert. Daneben liegt ein beinerner Ring. Durch diesen erblickt er wie in einem klaren Spiegel den ganzen Schatz, der ihm nun offen steht. In der Grube sitzt der Freimann, mit Namen Karolus, an einem Tische. Er ist mit einem roten Mantel angetan und hält ein feuerfunkelndes Schwert in der Hand, mit dem er alle Eindringlinge abschreckt. Denn neben ihm liegen sieben große Haufen Geld: drei aus gemünztem Silber, vier aus gemünztem Golde bestehend. Zu beiden Seiten liegen und hängen armdicke Zapfen Gold und Silber. Wer es sich getraut, kann davon nehmen, soviel er zu tragen vermag. Will er auch gemünztes Gold und Silber haben, so muß er ganz zum Freimanne hingehen, ohne daß ihm dieser ein Härlein krümmt; nur darf er beim Verlassen der Höhle nicht rückwärts blicken. Doch wehe, wenn er die rechte Beschwörungsformel vergessen hat! Da steht der Freimann in furchtbarer Schreckensgestalt vor ihm und aus ist’s mit dem verwegenen Menschen.
2. Bei Leoben im Liesertale zweigt ein Weg, der nur im Sommer für den Viehtrieb verwendet wird, zum Leobenbache ab und führt weit hinein in das Nockgebiet. Immer ostwärts wandernd, gelangt man nach fünf Wegstunden an eine Stelle, wo ein Steig linkshin zur Stangalm abbiegt. Nach wenigen Schritten findet man hart am Wegesrande einen großen grauen Stein, der vor alters geradeaus gestanden haben soll und die Inschrift trägt: „Kehr mich um.“ Schon manchem Goldsucher soll es gelungen sein, diesen rätselhaften Stein umzuwälzen, worauf er auf der Kehrseite den nämlichen Spruch fand und so klug war wie zuvor. Linker Hand davon - so berichtet der „gerechte Wegweiser zu der sogenannten Freimannsgrueben" - führt ein unscheinbares Weglein oder Viehtrieb auf die Alm und schnurgerade zur Freimannsgrube. Vor dieser liegt ein Totenkopf, rechts neben ihm ein Knochenring. Hält man diesen vors Auge und blickt dadurch hundert Stunden nach Neumond auf die gegenüberliegende Felswand, so sieht man den Eingang zur Freimannshöhle und alle Schätze offen liegen. Vor alten Zeiten stand an der Stelle ein vom Blitze gestreifter Zirbenbaum; nur der Stamm ragte noch empor, und ein verkohlter Ast zeigte wie ein Finger auf das berüchtigte Felsloch. Wer dort einzutreten wagt, gelangt durch einen engen Gang, in welchem er sich nur mit Mühe weiterzwängen kann, in eine geräumige Höhle. Hier sitzt an einem steinernen Tische, in einen purpurroten Mantel gehüllt, der Freimann und bewacht, mit einem blanken Schwerte in der Hand, seine ungeheuren Schätze, die aus Kupfer, Silber und Gold bestehen und um den Tisch her aufgehäuft sind. Schwer soll es sein, allein mit heiler Haut aus der Höhle zu entkommen; doch ebenso schwer, in Begleitung auch nur einen kleinen Teil des Schatzes zu erhalten, denn dann sieht jeder, wie der Freimann seinem Begleiter den Kopf abhaut, und entflieht mit leeren Händen, um gleichem Schicksale zu entgehen. Ein zweites Mal aber ist noch keiner in die Höhle gelangt.
Geht man am Freimanne vorüber, so tut sich abermals ein enger, finsterer Gang auf, der sich nach geraumer Zeit zu einer Höhle erweitert. Hier liegt ein unheimlicher unterirdischer See. Von der Decke über dem Wasserspiegel hängen große Zapfen Karfunkel und erfüllen den weiten Raum mit zauberhaftem Lichte. Doch gelingt es keinem Menschen, einen solchen Karfunkel zu gewinnen, da sie mit freier Hand nicht erreichbar sind, andere Hilfsmittel aber hier nicht zu Gebote stehen.
In früheren Jahren trafen etliche Tage vor der Walpurgisnacht viele Leute aus den benachbarten Ländern, namentlich Bewohner der Poebene, im Metnitztale ein und ließen sich von Einheimischen auf den Königsstuhl führen, wo sie den Weg zur Stangalpe und dadurch den Zugang zu den Schätzen der Freimannsgrube zu finden hofften. Viele davon, so berichten die Metnitztaler, sollen schon auf dem Wege dahin elend im Schnee umgekommen sein. Andere trafen gewöhnlich zur Zeit der Sommersonnenwende in dem „verborgenen Tale“ ein und verbrachten dort unter freiem Himmel bei einem tüchtigen Reisigfeuer, um die „goldene Stunde“ nicht zu versäumen, die Nacht. Bei dem leisesten Geräusche, das sie vernahmen, riefen sie aus: „Bist du der gute Geist Karolus?“
3. Einst begaben sich mehrere Leute aus Kaning auf den Weg zur Stangalm, um den Schatz, der da verborgen sein soll, zu heben. Unter ihnen befanden sich auch zwei alte Weiber, die abseits von den anderen ihre Nachforschungen anstellten. Nachdem sie schon mehrere Stunden vergeblich gesucht hatten und ihre Hoffnung bereits zu schwinden begann, wurden sie auf eine auffallend gefärbte Nasenstelle aufmerksam. Bei näherer Untersuchung des Bodens entdeckten sie unter dem dürren Rasen eine eiserne Platte, die sie nun mit großer Mühe zur Seite wälzten. Da starrte ihnen ein finsterer Gang entgegen, dem sie in die Tiefe folgten. Nach kurzem, aber beschwerlichem Weitersteigen erweiterte sich der Gang zu einem halbbeleuchteten Vorsaale, von dem eine prächtige Pforte noch weiter nach innen führte. Doch davor lagen zwei mächtige Löwen, die an einer Marmorsäule angekettet waren. Anfangs schraken die beiden Weiber zusammen, doch der Gedanke an das Geld gab ihnen den Mut bald wieder. Sie überlegten nun, wie sie die Pforte mit heiler Haut betreten könnten. Nach längerem Sinnen und Raten kamen sie zu folgendem Entschlüsse: eine von ihnen nahm den Speck, den sie als Wegzehrung mitgenommen hatte, und legte ihn vor die beiden Bestien. Sofort erwachten diese aus ihrem Schlafe und stürmten, sich gegenseitig drängend, auf den willkommenen Leckerbissen los. Diesen Augenblick benutzten die Weiber, um durch die Pforte zu flüchten. Nun befanden sie sich in einem weiten Saale, von dessen Pracht sie anfangs ganz betäubt waren. Doch ihre Aufmerksamkeit richtete sich bald auf den ungeheuren Schatz, der hier aufgehäuft lag. Mit der Frische eines Mädchens und der Kraft eines Jünglings fielen die beiden Weiber über das Gold her und füllten begierig ihre Taschen. Als sie sich gesättigt hatten und den Saal wieder verlassen wollten, trat ihnen ein alter Mann mit grauem Barte und der Würde eines Königs in den Weg und sprach folgende Worte: „All die Schätze, die ihr bei euch habt und die auch imstande sind, euch für immer glücklich zu machen, sollen euer Eigentum sein, wenn ihr mir versprecht, euch auf dem Rückwege nicht umzusehen.“ Mit Freuden leisteten die Weiber das gewünschte Versprechen und verließen wohlgemut den Saal. Doch kaum befanden sie sich wieder am Tageslichte, so wurden beide von der Begierde, noch mehr Geld zu gewinnen, so stark ergriffen, daß sie es nicht unterlassen konnten, nach dem geheimnisvollen Eingange des Saales umzusehen. In demselben Augenblicke aber verschwand das Geld aus ihren Taschen, ein furchtbarer Donner durchbebte die Luft und die beiden Weiber stürzten erblindet zu Boden. Seitdem aber konnte der Eingang zu dem Schatze nicht wieder entdeckt werden.
Quelle: Georg Graber, Sagen aus Kärnten, Graz 1941.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Harald Hartmann, Februar 2006.
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