Die Geldlärche

In der Nahe von Meiselding liegt das Besitztum des alten Steinbauers in der Leiten. Dieser hat folgende Geschichte erlebt. „Es war", erzählte er, „anfangs der Fünfzigerjahre, wahrscheinlich im Jahre 1850 oder 1851. Ich war ein Bub von elf Jahren und versah das Amt eines Schafhüters bei meinem Vater, dem ,Steinbauer in der Leiten’ Damals stand noch das alte Haus, eine baufällige Hütte, an deren Stelle er später das gegenwärtige Haus erbaut hat. Da kam eines Tages - es war ein Montag - während des Essens ein fremder Mann daher und bat um den Rest des Mahles, falls etwas übrig bliebe. Mein Vater sah ihn an und sprach: ,Wie kannst du, ein so starker Mensch, bitten gehen, warum willst du nicht arbeiten?’ ,Bitt' gar schön, Bauer’, erwiderte der Mann und faltete die Hände, ,gebt mir Arbeit.’ ,Ja’, meinte mein Vater, ,ich habe keine Arbeit für dich.’ Die Mutter, welche am Herde stand, sprach jedoch: ,Du hast doch unlängst gesagt, es wäre recht, ein Kohlholz gehackt, damit du den Kohlhaufen machen könntest. Vielleicht kann er Holz hacken?’ ,Das ist auch wahr, das ja! Kannst wohl Holz hacken?’ wandte er sich an den Fremden. ,O ja, freilich’, erwiderte dieser; ,wieviel habe ich etwa schon Holz gehackt in meinem Leben!.’ ,Nun, so bleib halt da, sitz her und iß aus!’ Dies ließ sich der Fremde nicht zweimal sagen, setzte sich mit neuer Bitte in Wort und Gebärde, nahm den Hut vom Kopfe, verrichtete ein stilles Gebet und aß mit sichtlichem Behagen die vier übriggebliebenen Knödel mit der Suppe aus. Dann wischte er sich den Mund und auch den Löffel ab und wandte sich dankend gegen Vater und Mutter. Mein älterer Bruder war unterdessen bemüht, für den Ankömmling eine Axt hervorzusuchen. Dieser nahm sie und das dargebotene Stück Brot für die Nachmittagsjause, schob es in die Rocktasche und ging mit dem Bruder an die nahe gelegene Arbeitsstelle. Er war in der Tat ein geschickter und fleißiger Holzhacker, arbeitete still und in sich gekehrt bis zum Abend. Da ging er nach Eintritt der Dunkelheit, die Hacke unter dem Arme, den Hut in der Hand, still betend hinter meinem Bruder her nach Hause. Nach dem Nachtmahl und dem darauf folgenden Abendgebete blieben die Männer sitzen, und es entwickelte sich ein Gespräch. Der Fremde wußte vieles zu erzählen und brachte die Rede endlich auf vergrabene Schätze; viele Burgruinen und andere Orte konnte er nennen, wo Schätze verborgen sein sollten. Endlich ging man doch schlafen.

Der folgende Tag verging wie der erste; an diesem Abend kam der Mann wieder auf sein Lieblingsgespräch zurück und wußte noch vieles, mitunter recht Unglaubliches vorzubringen. Als er damit so ziemlich zu Ende gekommen war, sagte mein Vater: ,Schau, du weißt so viel zu erzählen; aber von der Lärche auf dem Nußberg, scheint es, weißt du nichts’ ,Von der Lärche auf dem Nußberg? Nein! Was es damit für eine Bewandtnis hat, weiß ich nicht.’ war die Antwort. ,Nun, auf dem Nußberg steht hoch oben auf einem steilen, freien Platze eine große Lärche. Man sieht sie von unten deutlich, es ist weitum kein so großer Baum. Geht man aber hinauf auf den Platz, wo man sie stehen sah, so sieht man sie nimmer. So habe ich erzählen hören.’ Unser neuer Hausgenosse riß Mund und Augen weit auf und starrte sprachlos den Vater an. Endlich äußerte er laut seine Verwunderung und konnte dafür nicht genug Worte finden, was denn das ,lauter' sein sollte und daß er noch nie ähnliches gehört habe. Nach seiner Meinung war dort ganz sicher ein Schatz begraben. ,Das wüßte ich nicht’, antwortete darauf mein Vater, ,ich halte nicht viel von solchen Sachen.’ ,Ganz bestimmt, Bauer, ganz bestimmt ist es so.’ Bald trennte man sich und jeder suchte gedankenvoll sein Lager auf.

Am nächsten Morgen war weiter keine Rede mehr von der Lärche; der Mann hackte fleißig Holz; kam zu Mittag zum Essen heim und ging dann wieder an seine Arbeit. Um drei Uhr etwa kam er aber von dem Walde ins Haus, suchte den Vater auf, der in der Hausschmiede arbeitete, und sprach: ,Bitt' gar schön, Bauer, erlaubt mir, daß ich zur Lärche schauen gehe, mir läßt es keine Ruh'’. Mein Vater fand keinen Grund, ihm die Bitte abzuschlagen, und sagte: ,Magst ja schauen gehn; komm bald wieder heim und erzähle mir, ob es so ist oder nicht. Schneid' ein Stück Brot ab und nimm es mit.’ ,Nein, Bauer, das will ich nicht. Wenn ich nur gleich gehen darf.’ Und fort war er.

Beim Nachtmahle fehlte er, doch zum Frühstück war er wieder da. Kein Wort wurde über das gewagte Unternehmen verloren bis zur Zeit nach dem Nachtessen. Da erzählte denn der Mann: ,Es ist schon wahr, Bauer, es ist so. Noch kurz vor dem Finsterwerden bin ich hinausgekommen, hab' von unten aus ganz deutlich die Lärche gesehen und bin darauf zu gegangen. Wie ich hinkomme, ist sie nicht da. Schnell geh' ich wieder hinunter aufs Feld, schaue auf und merke mir den Platz noch besser. Wie ich oben bin, ist wieder nichts zu sehen. Dann höre ich betläuten von St. Veit, von Obermühlbach und von Kraig. Ich kniete nieder und betete. Es schlug Neun, es schlug Zehn, es wurde ganz dunkel und bald verkündete die tiefe Kraiger Glocke die elfte Stunde. Ich hatte mich während dieser Zeit kaum auf meinem Platze gerührt und siehe! Jetzt kniete ich knapp an der Lärche. Ich sah und fühlte den Baum neben mir. Obwohl ich auf etwas Ähnliches gefaßt gewesen, erschrak ich anfangs, stand dann auf und untersuchte den Baum unten herum und hinauf, so weit ich zu reichen vermochte. Es war ein Baum wie jeder andere. Da zog ich mein Messer aus der Tasche, öffnete den ,Pfeifenräumer’, steckte ihn mit einem kräftigen Hieb in den Baum und hängte meine ,Betschnur’ daran. Ich dachte nämlich, daß der Böse keine Macht mehr habe, den Baum zu verbergen, sobald mein Eigentum und etwas Geweihtes daran haftete. Nachdem ich noch eine Weile gebetet hatte, machte ich mich wieder auf den Heimweg und bin am frühen Morgen hier angekommen. Nun aber bitte ich, Bauer, leiht mir ein Stemmeisen und eine Handhacke, damit ich den Baum aufstemmen kann. Er ist gewiß voll Geld. Und dann hätte ich gerne einen Sack, um das Geld einfassen und heimtragen zu können.’ Mein Vater aber meinte lächelnd: ,Was wirst du denn mit dem Stemmeisen ausrichten? Nimm lieber deine Axt und schlag damit ein Loch in den Baum. Das geht viel schneller.’ ,Ist wohl wahr, Bauer, so werd' ich tun’, pflichtete der Schatzgräber bei. Er erhielt ein altes, ausgebessertes Säckchen, welches ungefähr einen Scheffel faßte. Mit seiner Axt und diesem Sacke begab er sich am nächsten Tage wieder auf den Weg, kam aber am Morgen unverrichteter Dinge zurück und erzählte: ,Ich erkannte den Platz, wo ich vorgestern gekniet hatte, genau und tat wie damals. Nach elf Uhr wurde der Baum sichtbar, und ich schritt in Gottes Namen an mein Vorhaben. Da der Baum an einer steilen Lehne steht, mußte ich meinen rechten Fuß in den Erdboden einstampfen, während ich auf dem linken kniete. Dann aber faßte ich die Hacke mit beiden Händen und tat einen kräftigen Streich. Aber sieh, sie prallte zu meiner Verwunderung heftig zurück. Ich befeuchtete meine Hände, faßte das Werkzeug womöglich noch fester und tat einen zweiten Hieb - noch heftiger prallte es zurück. Beim dritten Streiche wäre es mir aber trotz aller Anstrengung beinahe aus den Händen geflogen. Da stand plötzlich ein Geist vor mir, halb schwarz, halb weiß, und sagte: ,Du brauchst keine Axt, du kannst das Geld auch so haben, wenn du tust, wie ich dir sage. Verrichte für mich drei Wallfahrten, zuerst nach Maria-Saal, dann nach Maria-Rain und sodann nach Villach zum Heiligen Kreuz. Überall mußt du für mich eine Messe zahlen und während der ganzen Zeit bei Wasser und Brot leben. Wenn du das getan hast, darfst du den Schatz heben.’ Ich habe es versprochen und bitte Euch nun, seid so gut und leiht mir das Geld zum Messenzahlen; denn ich weiß wohl, daß ich noch nicht soviel verdient habe.’ (Taglohn war damals nur ein Sechser und deren fünf kostete eine Messe.) Der Vater, der nun nichts weniger als ungläubig war, händigte ihm das Verlangte ein, die Mutter schnitt einen Laib Brot zu Stücken und diese tat der Mann in das bekannte Säckchen, welches er mit Tragriemen versehen und zu einem Rucksack umgewandelt hatte. So ausgerüstet trat der Pilger seine Wallfahrtsrunde an.

Auf dem Heimwege, der ihn von Villach über Feldkirchen, Steuerberg in die Wimitz führte, übernachtete er in einem Bauernhause dieses Grabens das letztemal vor seiner Heimkunft. Und da sei ihm, so erzählte er später daheim, wieder der Geist erschienen, aber schon fast ganz weiß, nnd habe gesagt: ,Das ist schon recht, was du getan hast; aber gerne sähe ich's, wenn du auch noch in die Zweinitz gingest.’ So werde er halt auch diesen Gang noch tun müssen, schloß der Mann, und der Vater pflichtete ihm bei. Er gedachte am Abend noch von dort zurückzukehren, wenn er frühmorgens fortgehe. Allein dazu war er wahrscheinlich wegen der unzureichenden Kost, die seit mindestens einer Woche nur aus Wasser und Brot bestanden hatte, zu schwach. Daher mußte er auf dem Heimwege wieder auswärts übernachten, und da sei ihm abermals der Geist erschienen und habe, wie er später berichtete, gesagt: ,Was hast du getan?! Du hast das Geld für die Messen entliehen und das ist weit gefehlt! Nun mußt du dem Bauer so viel zurückgeben, daß er recht zufrieden ist.’ ,Nun, wieviel werde ich Euch denn ,abkehren’ müssen, daß Ihr recht zufrieden seid?’ fragte er meinen Vater. Dieser wollte ablehnen, doch der Schatzgräber drang solange in ihn, bis er sagte: ,Wenn du schon meinst, daß ich recht zufrieden sein soll, gib mir so viel, daß ich damit das Haus bauen kann.’ Er dachte dabei an etwa 400 bis 500 Gulden, da ja der ganze Baustoff schon dazu hergerichtet war. ,Schon recht, Bauer, das gebe ich gerne; aber gewährt mir bei Euch auch das Ableben. Bei Euch habe ich mein Glück gefunden und bei Euch möcht' ich's auch genießen. Ich werde arbeiten, soviel ich kann, wenn ich nur bei Euch bleiben darf.’ Nun erzählte er auch, wie er hierhergekommen sei und was ihn dazu veranlaßt habe. ,Ich bin im Tschagastgraben in der Kalkofenhütte daheim, wo auch mein Weib gewohnt hat. Die Not war groß, ich fand keine Arbeit und keinen Verdienst. Da verlegte ich mich aufs Beten und ging in meiner Bedrängnis eines Abends, da mich der Weg durch Meiselding führte, in den dortigen Friedhof, kniete aufs neueste Grab nieder und betete lange. Ich betete sogar zu den armen Seelen im Fegefeuer um Hilfe. Da kam mir plötzlich der Schlaf, und es ging jemand dicht an mir vorbei und sprach: Schau nur, daß du Arbeit bekommst, dann bekommst du auch Geld! Ich erwachte sofort, sah aber niemand, und ging nach nochmaligem kurzem Gebete nach Hause. Am folgenden Morgen machte ich mich in aller Frühe auf die Suche nach Arbeit. Ich hatte das auch früher schon getan, aber keine finden können; überall gab es Leute genug, und ich hatte alle Hoffnung verloren. Nunmehr ging ich mit neuem Mute ans Werk, wanderte von Haus zu Haus in der ganzen Meiseldinger Pfarre, ging über den Gunzenberg nach Straßburg, von da nach Gurk, Weitensfeld, Altenmarkt, und überall, wo ich ein Haus sah, kehrte ich ein und bat um Arbeit. Aber nirgends, gar nirgends nahm man mich auf. Von Altenmarkt ging ich auf den Zammelsberg, von dort nach Steinbichl, Dreifaltigkeit, in die Wimitz, und hier bei Euch erst habe ich gefunden, was ich suchte. Ihr habt mir von der Lärche erzählt und so wird sich doch das Wort bewahrheiten: Schau, daß du Arbeit findest, dann bekommst du auch Geld. Deshalb möchte ich hier bei Euch bleiben mein Lebtag und nimmer fortgehen. Noch eins bitt' ich Euch: geht mit mir auf den Nußberg, den Schatz zu heben.’ Das Dableiben bewilligte ihm der Vater, doch zum Mitgehen ließ er sich nicht bewegen.

So ging denn der Mann allein und kehrte niemals wieder. Alle Nachforschungen blieben erfolglos. Auch im Tschagastgraben, wohin der Vater mich einigemal schickte, um Nachfrage zu halten, ist er nie gesehen worden. Wahrscheinlich hat er das ersehnte Glück, die Ruhe und Erlösung von allem Erdenweh, an einsamer Stelle gefunden."

Quelle: Georg Graber, Sagen aus Kärnten, Graz 1941.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Harald Hartmann, Februar 2006.
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