Briccius und Heiligenblut
Briccius war ein Däne, der mit drei Blutsbrüdern zu Kaiser Leo nach Konstantinopel wanderte, wo er bald durch seinen ungemein frommen Lebenswandel und seine seltenen Talente auffiel. Der Kaiser nahm ihn in seine Dienste und gewann an ihm einen tüchtigen Feldherrn, der stets siegreich gegen die Feinde des Reiches focht. Bei allem Volke genossen die vier Brüder großes Ansehen und standen in der Gunst des Kaisers obenan. Aber Briccius schmerzte es, daß sein hoher Gönner ein flauer Christ war und bat Gott um ein Zeichen, wodurch der Kaiser im Glauben bestärkt würde. Nun begab es sich an einem hohen Feiertage, daß ein Jude, um die Macht des Christengottes zu versuchen, das Bild des Gekreuzigten in einer christlichen Kirche mit dem Messer durchstach. Sogleich floß Blut daraus wie aus einem lebendigen Körper, und der Jude eilte, betroffen von dem Wunder, entsetzt auf die Straße, teilte den Vorfall einem Christen mit und ließ sich taufen. Als dem Kaiser zu Ohren kam, was geschehen war, begab er sich mit großer Priesterschaft in jene Kirche, ließ das heilige Blut in ein Gläslein fassen und bekehrte sich von seinem Unglauben.
Bald danach brachen im Reiche Glaubensstreitigkeiten aus, und Briccius fühlte eine starke Sehnsucht nach der Heimat. Er entdeckte dem Kaiser fein Vorhaben, nach Dänemark zu ziehen und dort an der Bekehrung der Heiden mitzuwirken. Nur schweren Herzens erteilte ihm Leo Urlaub. Da die Brüder einander so innig liebten, daß sie sich nicht voneinander trennen mochten, beschlossen auch die anderen drei, den Hof mit Briccius zu verlassen. Dieser durfte sich für seine treuen Dienste eine Gnade erbitten und begehrte vom Kaiser als Lohn das heilige Blut. Sollte nun der Kaiser um dieses kostbare Gut kommen? In der Erwartung, Briccius werde sich wohl eines andern besinnen oder eine schlechte Wahl treffen, sperrte er diesen in eine Kammer und gab ihm drei Tage Bedenkzeit. In dem Gemache standen drei kostbare Fläschchen, unter welchen der Gefangene wählen sollte.
Nun hatte der Kaiser eine einzige Tochter, die den Fremdling wegen seiner Frömmigkeit und Vorzüge heimlich liebte. Als Magd verkleidet, schlich sie sich am nächsten Tage mit dem Essen zu Briccius ein und riet ihm, das Fläschchen zu wählen, auf welchem keine Fliege aufsitze. Nach Ablauf der Frist tat Briccius, wie sie geraten, und erhielt wirklich das Gefäß mit dem heiligen Blute. Er erklärte dem Kaiser, es in ein Land bringen zu wollen, wo es mehr geehrt würde als hier. Dieser erschrak zwar sehr über die getroffene Wahl, aber er konnte nicht anders, als dem Scheidenden das Kleinod zu übergeben; doch hegte er den Vorsatz, es ihm wieder stehlen zu lassen.
In Pilgerkleider gehüllt, trat Briccius mit seinen Brüdern den weiten Weg in die nordische Heimat an. Kaum waren sie abgereist, schickte der Kaiser ihnen seine Diener nach, um des Heiligtums wieder habhaft zu werden. Da die Flüchtigen auf der Hut waren, bemerkten sie bald, daß ihnen nachgestellt wurde und zogen abseits der Straße. Briccius brachte sich auf der Wade des rechten Beines eine tiefe Schnittwunde bei und verbarg darin das köstliche Fläschchen, dann strich er Erde über die Wunde, welche in kurzer Zeit verheilte. So wanderten sie durch alle Lande und kamen unbehelligt über die Alpen nach Kärnten in das Drautal. Briccins wollte nun, das Mölltal aufwärts wandernd, über den Tauern sich nach Salzburg wenden. Am nördlichen Drauufer, gegenüber von Sachsenburg, wo vor dem Bahnbau die Ölbrennerkeusche stand, sollen sich die Blutsbrüder getrennt haben. Der eine wanderte drauabwärts gegen Villach und ließ sich auf dem Oswaldiberge nieder, der nach ihm benannt sein soll; der zweite fand in Kötschach im Gailtale eine bleibende Stätte und soll nachmals in der dortigen Kirche begraben worden sein; der dritte wurde der Begründer der ersten Siedlung in der Niklai ob Sachsenburg - über sein ferneres Schicksal berichtet die Sage vom Heiligen Mann. Briccius endlich zog das Mölltal aufwärts, verfehlte aber in einer Sturmnacht den rechten Weg und geriet dabei in eine Schneelahn, die ihn verschüttete.
Als die Bauern, wie es im Mölltal gebräuchlich ist, um die Weihnachtszeit ans Heuziehen gingen, fanden sie eines Tages in der Nähe des heutigen Ortes Heiligenblut bei der jetzigen Briccius-Kapelle mitten im Schnee drei schöne grüne Ähren. Sie hielten dies für ein Wunderzeichen und verständigten davon den Pfarrer des nächsten Dorfes. Als man an der Stelle nachgrub, fand man den Leichnam in tiefen Schnee eingebettet und sah, daß die Ähren aus seinem Herzen wuchsen. Nun sollte der Leichnam des Heiligen - denn einen solchen hatten sie offenbar gefunden - gehoben und zur Bestattung geführt werden. Man einigte sich, den Willen Gottes zu erkunden, lud den Toten auf einen Karren und spannte zwei „ungelernte" Ochsen daran. Wo das Gespann halten würde, wollte man das Grab aufwerfen und an dem Orte eine Kapelle erbauen. Die Ochsen zogen den Leichnam aus der Alm über die Möll und schritten bis zu dem Hügel, auf welchem heute die Pfarrkirche von Heiligenblut steht. Dort machten sie halt und waren nicht mehr von der Stelle zu bringen. So lud man denn die Leiche ab und beerdigte sie. Aber nach wenigen Tagen gewahrte man, daß ein Fuß des Toten aus dem Grabe ragte. Bei näherem Zusehen fand man den Verband und darunter im Fleische das kleine grüne Halsfläschchen mit einer dunklen Flüssigkeit. Es ward herausgenommen und der Tote neuerdings begraben, worauf der Fuß im Grabe blieb. Das geheimnisvolle Fläschchen aber nebst einem Ring und Pergament, das man beim Toten gefunden, sandte der Pfarrer dem Erzbischof von Salzburg, der sich an den Patriarchen von Konstantinopel wandte und den gewünschten Aufschluß erhielt. Das alles geschah der Sage nach im Jahre 914.
An den Seitenwänden der Pfarrkirche zu Heiligenblut befinden sich vierzehn große Bilder, welche die Hauptmomente aus dem Leben und den Tod des seligen Briccius darstellen. Links vom Hochaltar erhebt sich eine pyramidenförmige Säule, die fast bis zum Gewölbe reicht. Darin wird, in eine niedliche Monstranz gefaßt, das breitgedrückte grünliche Fläschchen mit dem heiligen Blute aufbewahrt, nach welchem der Ort seinen Namen führt. In der Mitte der Kirche gelangt man über einige Stufen in die Gruft des Briccius hinab, wo gleich rechts beim Eingänge ein sargähnliches Grabmal steht mit einer altarähnlichen Erhöhung beim Haupte. Auf dem Sarge liegt eine hölzerne Statue, den Heiligen vorstellend; sie mußte ehedem alle Jahre erneuert werden, weil auswärtige Pilger immer kleine Splitter davon abschnitten und mitnahmen.
Quelle: Georg Graber, Sagen aus Kärnten, Graz 1941.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Harald Hartmann, Februar 2006.
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