7. Hemma und ihr Hofmeister.
Als Hemma, die Frau aus königlichem und herzoglichem Blute, in Trauer und Leid jene unersetzlichen Verluste gleichwohl überlebte, führte sie auf der von aller Welt geschiedenen Feste Purgstall in Steiermark ein stilles, weltabgeschiedenes Witwenleben. Die rechte Schönheit bleibt ewig jung und weckt ewig neue Schmerzen. So zündete auch die sittsame Herrin und Witwe, in ihrer stillen Trauer dem Himmel angehörend, bei ihrem Burghalter und Schirmvogt, einem schönen und wilden Jüngling, bis zum Wahnwitz gesteigertes Verlangen. Er war so tief gesunken, daß er durch Gewalt nehmen zu können hoffte, was allein die Liebe zu geben vermag, und zwang so Hemma, auf heimliche Flucht zu sinnen.
Der hohen Frau blieb aber kein anderes Mittel zur Flucht als ein dürftiger Karren, mit zwei Rindern bespannt, die noch niemals ein Joch getragen, und sie floh, indem sie sich gänzlich dem ungelenkten Vieh überließ. Wunderbar schnell sah sie die sonnigen Matten und Hügel des Admont-Tales hinter sich. Die Rinder hielten am ersten Abend jenseits des Dietmarsberges, in der Gegend des heutigen Schaunitzerhofes. Niemand hatte sie weiterzubringen vermocht. Dagegen machten sie sich zeitig am andern Morgen von selbst wieder auf, brachten die fromme Gräfin in ihre Burg Zeiring und machten dort wieder mit der nämlichen Hartnäckigkeit halt. Endlich blieben sie unbeweglich an der Stätte, wo jetzt der Mariendom zu Gurk steht. Diesem Ereignisse zum Andenken hielten die Admontischen Salzführer, welche die jährlich nach Gurk abzuliefernde Salzgabe verführten, jene Standlager und Ruhepunkte der heiligen Hemma mit ihren Ochsenwagen getreulich ein.
Der Gräfin Hofmeister und Vogt trieb indessen seine wildflackernde Leidenschaft umher. Bald gebeugt, bald rasend, bald reuig, bald verstockt, riß er sämtliche Besitzungen und namentlich ihre Sazkoten zu Hall im Admont-Tale an sich, dann jagte es ihn wieder in die Irre, Hemma zu suchen; auf die höchsten Berge, in die tiefsten Schluchten, Höhlen und Wasserrisse. Sinnverwirrend trat ihm seine Schuld vor Augen, wie er in vermessenem Wahne, Hemmas Hand desto leichter zu gewinnen, die Empörung der Zeltschacher Knappen angezettelt und dadurch den Tod der Grafen Wilhelm und Hartwig, der letzten Sprossen ihres Stammes, verursacht hatte. Als er nach Purgstall zurückkehren wollte, versank das Schloß plötzlich vor seinen Augen.
Vor fünf Jahrhunderten zeigten die Hirten und Köhler noch den Abgrund voll Schlammes, trüber Gewässer und traurig flüsternden Schilfes, in welchem Purgstall versunken und aus welchem Grunde damals noch die Zinnen eines starken Turmes hervorragten.
Die mündlichen Überlieferungen über das Ende des verbrecherischen Burgvogtes sind verschieden. Nach einigen warf ihn die Verzweiflung in eben den moorigen Abgrund, in welchem das Schloß Purgstall versunken. Nach anderen erflehte ihm Hemmas Fürbitte eine Zeit der Erkenntnis, der Reue, der Buße und Gnade und an ferner Stätte einen ruhigen Tod.
Quelle: Georg Graber, Sagen aus Kärnten, Graz 1941.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Harald Hartmann, Februar 2006.
© digitaler Reprint: www.SAGEN.at