4. Hemmas Traum.
Ein Bote brachte der unglücklichen Mutter die Schreckenskunde und erstattete Bericht über das furchtbare Rachewerk, welches der Graf vollbracht. Schmerz und Zorn stritten im Herzen der schwergeprüften Frau; noch war sie keines klaren Empfindens mächtig, nur hin zu dem Gatten und den Leichen der Söhne drängte es sie. In tiefes Sinnen versunken ritt Hemma, von einem Häuflein Diener geleitet, des Weges dahin. Schon hatten die Reisenden den Loibl überschritten und waren zu Tode erschöpft, nur die beraubte Mutter fühlte nicht Ermüdung noch Hunger. Da nahte sich der Sinnenden ein alter Diener und bat sie, sich und dem Gefolge eine kurze Rast zu vergönnen. Hemma willigte ein und ließ sich selbst an einem einsamen Felsen an der Drau nieder. Hier wurde die edle Frau vom Schlummer überwältigt und sah im Traume die Schmerzensmutter; diese erinnerte sie mit sanften Worten an die Kürze des Lebens, an die Vergänglichkeit aller irdischen Freude und mahnte Hemma, den Feinden, die ihr Teuerstes gemordet, zu vergeben. Dann erschienen der trauernden Mutter die herrlichen Söhne, winkten freundlich und verschwanden. Die Schläferin erwachte; Zorn und Rache waren aus ihrem Herzen gewichen, nur der Schmerz um die Verlorenen war zurückgeblieben, doch auch dieser sanfter und verklärter. Hemma verließ die Stätte nicht, ohne dort ein Kreuz errichten zu lassen zum Gedächtnis jener Stunde.
Als sie zu ihrem Gatten kam, bat sie um Verzeihung und Milde; mit tiefem Kummer sah sie die furchtbare Verwüstung, welche dessen Rache bereits angerichtet hatte. Es gelang ihr, dem Rachewerk Einhalt zu tun; Graf Wilhelm, ganz zerrissen von dem Anblicke des furchtbaren Wehs, das er verschuldet, und kinderlos geworden, beschloß nun Buße zu tun.
Quelle: Georg Graber, Sagen aus Kärnten, Graz 1941.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Harald Hartmann, Februar 2006.
© digitaler Reprint: www.SAGEN.at