Der Kaiser im Jaukenberg

Im letzten Abendschein saß ein einsamer Bergfahrer auf dem Kamm und blickte hinunter auf die Hütten im tieferliegenden Almboden. Langsam legte die Nacht ihre Schleier auf die Erde, dann stieg der Mond empor und breitete sein stilles Licht über die Matten. Da wurde es fast taghell und das Licht steigerte sich im strahlenden Silberglanz. Dort war doch früher ein Gebüsch und jetzt steht dort eine gebüßte Frauengestalt und zeigt mit erhobenem Arm hinunter auf die weite Alm, die Übergossen ist von hellstem Glänze. Dorthin wendet der Wanderer staunend seinen Blick. Kriegsvolk in Gewandung längst vergangener Zeiten ist in großer Zahl aufmarschiert. Die silberblanken Panzer, Kettenhemden, Schwerter und Lanzen strahlen im hellen Licht des Mondes. Taufende von Funken und Lämpchen sprühen und springen zwischen den vielen Reihen der Krieger. Wunderbare, nie gehörte Klänge einer Kriegsmusik ertönen zu dem hellen Klirren der Waffen. Mitten unter den singenden und spielenden Scharen trabt hoch zu Roß im goldenen und purpurnen Königsmantel mit gekröntem Haupt eine mächtige Gestalt. Lange, weißgelockte Haare fließen unter der Krone über den reichgeschmückten Purpur und ein langer, wallender Bart reicht bis zur Mähne des edlen, schweren Königsschimmels. Nun schwingt der Edle sein Schwert nach den vier Himmelsrichtungen. Unter tosendem Jubel und Waffenlärm setzen sich die Scharen in Bewegung, der Berg öffnet sich und zeigt im grellen Lichtglanz gleißende Hallen, in die der wunderbare Kriegerzug verschwindet.

„Soll dies Kaiser Rotbart mit seinen Scharen gewesen sein?“ fragt sich der Wanderer. „Ja, Kaiser Rotbart wohnt mit seinen Helden in diesem Berg“, schnarrt plötzlich die Stimme des gebückten Weibleins neben ihm. „Wenn große Ereignisse bevorstehen, erscheint der Kaiser mit den Seinigen aus dem Jauken. Du hast Glück gehabt und ihn gesehen!“ Da stolperte das Weiblein, der Wanderer griff nach ihr, um sie zu retten, doch da hielt er statt der knöchernen Hand nur Zweige des Gebüsches in seiner Faust. Die Alte war wie in den Erdboden verschwunden, der Spuk war zu Ende.

Quelle: Georg Graber, Sagen aus Kärnten, Graz 1941.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Harald Hartmann, Februar 2006.
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