Jaungen und Raungen

An der alten Straße, die von Knappenberg nach Mösel führt und auch Erzstraße heißt, arbeiteten früher viele reiche Bergknappen. Sie waren in solcher Zahl beisammen, daß sie in den Häusern gar nicht mehr Platz hatten und in Höhlen wohnen mußten. Infolge ihres Reichtums aber wurden sie so übermütig, daß sie mit ihrem Glücke scherzten, was, wie die Leute sagen, dem Fasse den Boden ausschlug.

Als einst ein Bettler zu den Knappen kam und um ein Almosen bat, reichten sie ihm statt dessen Steine und verhöhnten seine Lumpenkleider. Darüber geriet der arme Mann in solchen Zorn, daß er den Bergsegen verfluchte und mit drohender Stimme rief: „Heute heißt es noch auf der Jaungen, morgen aber auf der Raungen." Niemand verstand die rätselhaften Worte, und unbekümmert fuhr das tolle Knappenvölklein am nächsten Morgen in die Grube, aber alle fanden durch Verschüttung den Tod. Noch heute sieht man an der Straße alte Grubenlöcher und Höhlen, wo die Knappen eins! gewohnt haben sollen.

Unter den Verunglückten befand sich auch ein frommer Mann, der an dem Frevel der übrigen nicht beteiligt war. Als dieser am Unglückstage mit seinen Kameraden ahnungslos einfuhr, traf ihn dasselbe Schicksal wie sie, die gewaltigen Bergmassen verschütteten auch ihn. In Angst und Schrecken grub er nun die Steine weg, da erschien ihm ein Bergmännlein mit Licht, Speise und Gezähe und hieß ihn nur unentwegt fortgraben, dann werde er schon wieder ans Tageslicht gelangen. Täglich brachte ihm nun der gute Berggeist seine Nahrung. Er grub emsig weiter und kam endlich nach sieben Tagen an das Licht. Als er bei seiner Frau eintrat, hielt sie ihn für einen Fremden, denn er hatte nicht, wie er glaubte, sieben Tage, sondern Jahre im Bergwerke verweilt, und sie hatte unterdessen einen andern geheiratet. Da ließ er sich den Bart scheren, worauf ihn seine Frau sogleich erkannte. Nun herrschte heller Jubel im Hause, und der zweite Mann wich gerne dem ersten.

Alte Bergarbeiter glauben noch jetzt an wohltätige Berggeister und stellen jedesmal am Abend vor einem heiligen Tag ein Lichtchen in ihrem Verhaue auf, um Segen bei der Arbeit zu haben und vor bösen Geistern geschützt zu sein.

Quelle: Georg Graber, Sagen aus Kärnten, Graz 1941.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Harald Hartmann, Februar 2006.
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