Die verwunschene Jungfrau in Jadersdorf
In der Nähe von Jadersdorf im Gitschtale steht ein Felsen, das Käppele genannt. Dort prangte in alter Zeit ein Schloß, von dem heute noch ein Kellerraum zu sehen ist. Nach dem Volksglauben war es ein verwunschenes Schloß, in dem bis heute ein großer Schatz liegen soll. Es war ehemals von Riesen bewohnt; nach deren Aussterben lebte darin eine verwunschene Frau, die einen großen Schatz bewachte.
Eines Tages begegnete sie einem jungen Hirten aus Jadersdorf, der im Walde sein Vieh weidete. Die Frau bat ihn, am nächsten Tage wieder auf denselben Ort zu kommen. Er solle dann seinen Hirtenstab schief auf die Erde setzen, über dem oberen Ende des Stabes die Hände verkreuzen und auf diese seinen Kopf stützen. Danach werde eine gekrönte Schlange erscheinen, mit einem Schlüssel im Rachen. Sie werde sich am Stocke emporschlängeln und den Schlüssel ihm in den Mund legen. Der Hirte tat, wie ihm die Frau geheißen. Als aber die Schlange in die Nähe seines Gesichtes kam, schrak er zurück und bei dem Stoß glitt das Tier auf den Boden und verschwand. Gleichzeitig hörte der Hirtenknabe aus dem nahen Schlosse großes Wehgeschrei.
Längere Zeit nach diesem mißglückten Erlösungsversuch begegnete dieselbe Frau einem andern Hirten, zu dem sie folgende Worte sprach: „Das Schloß wird verfallen, aber aus seinem Grunde wird unter anderen Bäumen einmal eine Lärche wachsen, aus deren Holz eine Wiege gebaut werden soll. In dieser wird das Kind liegen, welches dazu ausersehen ist, den Schatz des Schlosses zu heben.“ Hierauf verschwand sie und ward nicht mehr gesehen. Das Schloß verfiel gänzlich und viele Bäume faßten auf dem Schuttkegel Wurzel.
Eine Bäuerin aus Jadersdorf streifte einmal Laub von diesen Bäumen. Dabei entdeckte sie auf dem Schloßgrunde einen Gang, der in die Tiefe führte. Sie ließ sich dort hinab und gelangte in einen Kellerraum, in welchem eine Truhe stand. In dieser lagen Laubblätter von wunderbarer Schönheit. Sie nahm sich davon eine Schürze voll und stieg empor. Zu Hause wollte sie die Blätter zeigen, doch siehe! sie hatten sich in lauter Silbertaler verwandelt. Die Bäuerin eilte sofort wieder zurück, um eine größere Ladung solcher Blätter zu holen, doch die Truhe samt dem Inhalte war verschwunden. Sie hätte nach der Sage irgend ein Ding, ihr Tuch oder ihre Schürze zurücklassen sollen, dann hätte sie den ganzen Schatz heben können. Dieser liegt also heute noch dort und harrt des glücklichen Finders.
Quelle: Georg Graber, Sagen aus Kärnten, Graz 1941.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Harald Hartmann, Februar 2006.
© digitaler Reprint: www.SAGEN.at