Der Goldtrog im Leobengraben

Hoch oben an der sonnseitigen Lehne des Leobengrabens steht das Haus des Veitbauers, zu dem bei Eintritt der schönen Jahreszeit alljährlich an bestimmtem Tage ein ärmlich gekleideter Mann kam und dort einige Zeit verblieb. Das Gehaben des Fremdlings, der Zweck und Ziel seiner Reise niemals verlauten ließ, weckte den Argwohn des Bauers, und so beschloß er denn, ihm einmal nachzuschleichen. Kaum graute der Morgen, so war der Unbekannte schon auf den Beinen und eilte in den Leobengraben. Auch der Bauer stand zeitig auf - er war ein Wilderer - und eines Morgens zog er seine Schleichschuhe an, nahm die Büchse mit und stahl sich davon, nachdem der Fremde bereits ausgezogen war. „Entdecke ich sein Geheimnis nicht, so werde ich vielleicht ein Waldtier niederknallen", war sein Sinn. Aber bald erreichte er den Fremden und hielt sich immer in gemessener Ferne. Jener durcheilte den Graben bis zur Feldnerhütte, dann bog er ab und hastete den steilen Abhang hinauf, der Veitbauer hinterdrein. Nach mehrstündigem Klettern hielt der Fremde endlich an und blickte vorsichtig spähend nochmals zurück; doch einsam und still lag die Almwiese unten, nur einige Zirben mit verkrüppeltem Geäste standen da und verbargen den Bauer, der lauernd jede Bewegung des Fremden verfolgte. Da hob dieser, als er sich unbeobachtet wußte, eine Felsplatte, die sich wie ein Tor öffnete, verschwand in der Höhlung und schloß hinter sich. Lange dauerte es, bis er wieder hervorkam und ein gleißendes Stück Gold in seinen Lederranzen schob. Dann legte er die Platte behutsam über die Grube und verschwand nach einer anderen Seite des Berges.

Der Veitbauer gedachte dem Fremden im nächsten Jahre um einen Tag zuvorzukommen und merkte sich den Platz und die Zeit genau. Ein Jahr darauf stand er am bestimmten Tage schweißtriefend vor der Platte, hob sie auf und stieg in die Grube. Finster war's und eisig kalt. Aber des gesuchten Geheimnisses ward er nun inne. Dort in der Ecke stand ein Steintröglein, in welches aus dem Felsen flüssiges Gold tropfte. Was sich hier seit der letzten Aushebung angesammelt, war im Laufe des Jahres hart geworden; das begriff der Veitbauer augenblicklich, hob den Goldklumpen aus dem Steintrog und schleppte ihn in seinem Ranzen nach Hause. Doch sagte er sich, daß ihm der Goldklumpen wenig nütze, wenn er dafür nicht Bargeld erhalte. Was also tun? Er war ein findiger Kopf und, ohne lange zu überlegen, machte er sich auf den Weg nach Welschland. Schon war er tagelang gewandert und schlenderte nun selbstzufrieden durch eine italische Stadt, da hörte er aus dem nächsten Fenster die Worte: „Veitbauer, woher? wohin? was tust du?" Es war die Stimme des Fremden, welche ihm jetzt tödlichen Schrecken einjagte, da er ihn übertölpelt hatte. Weil er selbst ins Garn gerannt war, überließ er sich jetzt willenlos dem Verhängnis. Doch der Mann tat ihm nichts zuleide, sondern kaufte ihm sein Gold ab und beschenkte ihn reichlich, weil er ihn jedes Jahr so liebevoll aufgenommen hatte.

Von jetzt an kam aber der Fremde nicht mehr in den Leobengraben, und auch das Goldloch verschwand.

Quelle: Georg Graber, Sagen aus Kärnten, Graz 1941.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Harald Hartmann, Februar 2006.
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