Der Schatz im Schlosse Liebenfels

An einem Samstagabend ging ein armer Faßbinder, der in der Nähe von St. Veit sein Häuschen hatte, müde von der Arbeit heim. Sein Weg führte ihn durch den Schloßhof der Ruine Liebenfels. Da es schon ziemlich dunkel war, irrte er in dem Gemäuer vom Wege ab und geriet in die inneren Räume der Burg. Auf einmal stand eine alte Frau vor ihm und winkte ihm. Von einer geheimen Macht gezogen, folgte er ihr und sah sich bald in einem großen Saal, wo drei große Fässer standen; das erste war mit Gold-, das zweite mit Silber-, das dritte mit Kupfermünzen gefüllt. Nun ersuchte ihn die Frau, ihr gefällig zu sein und Reifen an die locker gewordenen Fässer zu binden. Die Arbeit solle ihn nicht reuen.

Ohne ein Wort zu erwidern, machte sich der Binder daran und war bald fertig. Da erlaubte ihm die Alte, zum Lohne aus jedem Faß eine Handvoll Geld zu nehmen. Weiters müsse er - so sprach sie - täglich um die zwölfte Stunde in der Burg eintreffen und jedesmal aus jedem Fasse eine Faustvoll Münzen nehmen, die er für seinen Bedarf verwenden könne, wie er wolle. Nur dürfe er nie ausbleiben und auch nie mehr mitnehmen, als er brauche, sonst werde der Schatz verschwinden und in sein Häuschen die frühere Armut wiederkehren. Voll Freude ging der Binder davon; er war nun ein gemachter Mann und hatte mit seiner Familie vollauf zu leben. Lange Zeit hielt er das Gebot der geheimnisvollen Alten getreulich ein und ging täglich in die Burg. Einmal - es war am Vorabend des Pfingstfestes - wanderte er den gewohnten Weg zu seiner Schatzkammer. Aber oben bei den Fässern gedachte er des großen Festes, das morgen in St. Veit gefeiert werden sollte, und beschloß, daran teilzunehmen. Dann aber konnte er nicht wie gewöhnlich zur Burg kommen, und rasch entschlossen nahm er für zwei Tage Geld, aus jedem Fasse zweimal so viel als sonst. Als er den Saal verlassen wollte, erfolgte ein Knallen und Fallen, der Boden spaltete sich, und die Fässer sanken in die Tiefe. Er sah sogleich ein, daß er gefehlt hatte, aber wie immer kam auch hier die Reue zu spät, denn eine Stimme aus der Tiefe sagte ihm, daß er eine verwunschene Jungfrau erlöst haben würde, wenn er die Weisungen jener Frau befolgt hätte. So aber ist auf alle Zeiten der Schatz für jedermann verloren.

Quelle: Georg Graber, Sagen aus Kärnten, Graz 1941.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Harald Hartmann, Februar 2006.
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