Der Lindwurm vom Goggauersee

Im oberen Wimitztale, einer ziemlich unwirtlichen Gegend bei Feldkirchen, liegt ein kleiner See, der Goggauersee. Diesen soll der Teufel in einem großen Gefäße an die Stelle gebracht und mit den scheußlichsten Untieren belebt haben. Eines davon war ein riesengroßer Fisch, der am Rücken eine lange, scharfe Säge trug und damit alles, was ihm in die Nähe kam, durchschnitt. Einst sollte ein Meerestaucher den See untersuchen. Er zog deshalb, um von dem Sägefisch nicht durchschnitten zu werden, neun Anzüge aus Glas an und tauchte nieder. Trotz der neunfachen Hülle hätte ihm sein Unternehmen bald das Leben gekostet, denn acht Glaswände wurden von der scharfen Säge des Untieres in einem Zuge entzweigesägt. Der Taucher erzählte den Leuten, daß er noch viele andere furchtbare Geschöpfe gesehen habe und ihnen nur mit knapper Not entgangen sei.

In früheren Zeiten soll auch eine Meerjungfrau den See bewohnt haben. Sie besaß ein wunderschönes Antlitz und alabasterweiße Arme, nur waren an Stelle der Füße Flossen an den Leib gewachsen. Sie hielt sich am Südende des Sees auf, wo das Wasser im Kreise fließt und einen breiten Wirbel bildet. Die Wasserfrau war bei den Leuten sehr gefürchtet, denn durch ihre außerordentliche Schönheit und ihren lieblichen Gesang lockte sie viele Menschen an und zog sie in den Strudel hinab.

Noch ein drittes Wesen machte die Umwohner des Sees erzittern, nämlich ein ungeheuer großer Lindwurm, welcher einen solchen Rachen hatte, daß er ein Paar Ochsen samt einem Fuder Heu verschlingen konnte. Ein siebenjähriger Haushahn hatte in einen Düngerhaufen ein rotes Ei gelegt und nach drei Jahren entschlüpfte diesem ein Lindwurm, der rasch zu einem Riesentiere heranwuchs und viele Menschen und Rinder verschlang. Niemand hatte den Mut, ihn zu bekämpfen. Nur ein altes Männlein, das als Hexenmeister bekannt war, erbot sich, dem Ungetüm den Garaus zu machen. Zu diesem Zwecke verlangte der Mann von den Bauern einen Stier, schlachtete ihn und nahm ihm das Eingeweide heraus. In die leere Bauchhöhle stopfte er alsdann einen großen schwarzen Klumpen, den er mit scharfen Giften getränkt hatte. Hierauf befahl der Alte, das tote Tier an den See zu schaffen, in dessen Nähe der Lindwurm hauste.

Aber es fand sich niemand, der dieses Wagnis auf sich nehmen wollte, da jeder um sein Leben bangte. Nur der „Goggauer Togger“, wie er von allen genannt wurde, erklärte sich dazu bereit. Mit seiner übermenschlichen Kraft lud er den toten Stier auf seine Schultern und trug ihn an das Ufer. Der Lindwurm witterte sofort eine Beute, kam schnaubend herangeflogen und verschlang den Knecht samt dem Stiere. Bald tat auch das fürchterliche Gift des Hexenmeisters seine Wirkung. Der gepanzerte Wurm fing an sich zu dehnen und zu strecken und verendete unter schrecklichen Krümmungen. Für dieses letzte Opfer des Lindwurmes wird alljährlich am Todestage eine Messe gelesen.

Quelle: Georg Graber, Sagen aus Kärnten, Graz 1941.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Harald Hartmann, Februar 2006.
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