Der heilige Petrus und die Maltaberger

Zur Zeit, als hierzulande ein wahres Paradies bestand, als die helle Sonne über breitkronige Palmen lachte, wandelte der heilige Petrus hinauf in das Land der wilden Heiden. Hügelauf, hügelab, über Berg und Tal, durch Feld und Wald. Bunte Falter gaukelten in der Luft und zierliche Vöglein schwirrten von Baum zu Baum. Petrus kam, nachdem er im Morgenlande seine Pflicht erfüllt, herauf zu den Älplern, denen er mit väterlicher Liebe den Glauben seines Heilandes verkünden wollte. Schon erhoben sich vor ihm die mächtigen Bergrecken der Alpen, aber nicht nackte, graue Felsen waren es, sondern saftiggrüne Hänge. Der Meister hatte ihm einen Gefährten auf die Reise mitgegeben, so daß er auf freien Wegen, unbeirrt durch Wetter und Blitz, dahinziehen konnte. Eine Baßgeige war's, unter deren mächtigem Buckel er Schutz fand, die aber auch herhalten mußte, wenn es galt, die Herzen der Heiden für das Evangelium milder zu stimmen. Überall, wo er Gute Menschen fand, predigte und bekehrte er. Aber obgleich das Land schön und fruchtbar war, wohnten doch wenig Menschen darin. Doch dort oben auf jenem Berge, den man heute den Maltaberg nennt, hausten wie heute ungeschlachte Leute. Die jungen Burschen liebelten mit allen Mädchen, Treue halten konnte freilich keiner. Und erst die Alten! Wenn da einer nach langen Irrfahrten eine Ehefrau gefunden hatte, jammerte er den ganzen lieben Tag über sein schlimmes Los.

Zu diesen Leuten kam nun der Apostel. Mit seiner Baßgeige auf dem Rücken stieg er im Schweiße seine Angesichts bergan und hielt alle Augenblicke an, um recht „überzuschnaufen". Schließlich stand er oben bei der ersten Hütte. Er klopfte an eine Tür - keine Antwort. An der zweiten und dritten ging's ihm auch nicht besser. Endlich trat ihm ein altes, buckliges Weiblein in den Weg und fuhr ihn mit scharfer Stimme an: „Was schaffst du da? Mein Alter ist nicht daheim!" Auf sein Fragen erfuhr er, daß alle Leute beim Tempel unter der „Glockenspitze" waren. Dann schlug sie barsch die Türe zu, und Petrus konnte abziehen. Der Weg führte immer noch bergauf; tief seufzte er, und warnende Worte des Herrn fielen ihm ein.

Jetzt tat sich vor ihm ein Tal auf, das in den herrlichsten Farben erglänzte. Ganz aus der Ferne vernahm er fröhliches Jauchzen und Singen. Er beschleunigte seine Schritte. Immer näher kam er dem Orte, woher das Gejohle ertönte, und betrat einen Hain von hohen, edlen Bäumen, die einen freien Grasplatz umrahmten. Eine Menge Volkes war da versammelt, knorrige, sehnige Männer, junge Burschen und „tolle" Dirnlein. Dort unter einem hohen Baume kauerten etliche Männer um einen viereckig zugehauenen Stein und schienen in eine ernste Sache vertieft. Hier, umstanden von Älteren, drehte sich Paar an Paar in mäßigem Neigen, und sie sangen eine Weise zu Ehren ihrer Götter. Durch die dichten Bäume drang der Schimmer des hölzernen Tempelbaues.

Alles, was der heilige Mann da schaute, dünkte ihn Teufelswerk; als sie im Tanze innehielten, trat er vor und stellte sich vor die Fröhlichen hin. Doch diese juckte es aufs neue in den gelenkigen Gliedern, und wie aus einem Munde scholl es dem Mann mit der Baßgeige entgegen: „Grüaß di! Mach auf, mach auf!" (Sie meinten damit, daß Petrus ihnen aufspiele.) Aber dieser glaubte, sie hätten ihn als Himmelstorwart erkannt, und mit kräftiger Stimme fuhr er los: „Aufmachen soll ich dem nichtsnutzigen Volke? Nichts da! Erst müßt ihr euch bekehren!" - „Aufmachen! Aufmachen!" erscholl es aus der Menge. Aber Petrus blieb standhaft: „Nicht eher, als bis ihr eure Fehler gutgemacht, euren Götzendienst und den sündigen Ringelreihen abgestellt und den Tempel dort den Flammen übergeben habt!" Da raunten sie sich zu: „Der is nit recht bei Kopf" und lauter ertönte es: „Aufmachen! Aufmachen!" Zornesröte überzog jetzt das würdevolle Antlitz des Apostels, als er mahnend rief: „Vom Erdboden sollt ihr vertilgt werden, wenn ihr das Wort Gottes nicht hören wollt." Ein lautes „Oho!" tönte zurück; alles wird lebendig, jeder greift nach einer Wehr, wo immer sie zu finden ist, Prügel und Knüttel raffen sie auf. Die Weiber machen verzagte Gesichter und ziehen sich hinter die kampflustigen Männer zurück, und ehe sich's der Heilige versah, lag er schon am Boden. Er stöhnte noch einige rachekündenden Worte, aber schon fielen die Schläge hageldicht hernieder; seine Drohungen verwandelten sich in klägliches Gewimmer, endlich in hilfloses Flehen. „Haut ihm das G'spül z'samm!" schrien sie, und bald lag der treue Brummbaß in tausend Splittern. Als endlich die Arme der Zuschlagenden müde geworden, ließen sie von dem Fremdling ab.

Mühsam erhob sich Petrus, tiefen Groll in der Brust. Wie armselig kam er sich vor, seine Knochen schmerzten ihn, die Baßgeige war dahin! Wo sollte er sich jetzt vor Wettern bergen, wie die Erdenkinder für Gottes Wort gewinnen, wenn sie, die teure, nicht mehr war? Er kniete nieder und betete recht inbrünstig zum Herrn um Schutz für sich und Strafe für die Sünder.

Wolken stiegen auf, hinter den Bergen kamen sie, vom Winde gejagt, dahergeflogen, anfangs licht und weiß, bald aber walzten sie sich dunkler daher. Um die „Glockenspitze" ballte sich Gewölk und ängstlich Getier umflatterte den Berg. Es dunkelte, und noch immer quollen die Wetterwolken hinter den Spitzen hervor. Der Wind stieß an die Wände, und in den Lüften klagte es wie Menschen im schrecklichen Kampfgewühl. Da zuckte es hell auf, fern grollte der Donner, und ächzend fielen die Bäume, vom Blitzstrahle getroffen. Den Leuten wurde es angst und bang, sie flohen in ihre Hütten oder verbargen sich in Felsklüften. Endlose Feuergarben fuhren prasselnd nieder, die Erde schien in Flammen zu stehen, und selbst Petrus, der wohl wußte, was das Unwetter zu bedeuten hatte, verkroch sich gruselnd in ein Felsenloch. Nun begann es vom Himmel zu schütten, dem hohen Gebirge entquollen brausende Wasser, die ins Tal tosten und hoch aufschäumten bei dem wilden Spiel. Das Erdreich lockerte sich, die Grundfelsen traten zutage, und Steinmassen donnerten mit den rauschenden Fluten zu Tal. Ganze Palmenwälder stürzten in die Tiefe und rissen alles Getier mit sich. Ein fürchterlicher Krach, und die „Glockenspitze" versank. Von den Felswänden, die sich jetzt gebildet hatten, fuhren Lawinen nieder und begruben den weiten, herrlichen Platz mit wüstem Schutt und Gerölle. Die Palmen und alles Gewächs, das die Sonne so schön ans Licht gebracht, wurden in dieser Schreckensnacht vernichtet. Weiße Eiskörner fielen vom Himmel, und in kurzer Zeit war die Gegend in schimmerndes Weiß gehüllt.

Als die Wut des Sturmes ausgetobt, die Wolken sich verzogen hatten und der Nebel verschwand, schien die Sonne auf eine weite, glitzernde Eisfläche. Unten im Tale schmolz die kalte Hülle wieder; Palmen und andere edle Gewächse waren freilich für immer verschwunden, aber dichte Tannen und Fichten wuchsen nun an den Hängen. Auf luftigen Bergeshöhen liegt heute noch Schnee und Eis.

Petrus zog nun unbehelligt nach dem Süden zurück. Oftmals überraschten ihn auf der Wanderschaft Regengüsse und Stürme, aber die Nadelbäume, unter die er sich dann flüchtete, ließen kein Naß durch.

Kaum graute der Tag nach dieser unheilvollen Nacht, die zwar wie ein Zugbrücklein von heut auf gestern lag, aber genügt hatte, um den Maltabergern für immer Elend und Kummer zu bringen, als auch schon die Furchtsamen aus ihren Schlupfwinkeln hervorkamen und mit Tränen in den Augen das Werk der Vernichtung schauten. Jetzt hieß es starke Hütten zu bauen, aber ach, die knorrigen Fichten und Tannen, die ästigen Ahornbäume und Wildhaseln, welche da wuchsen, machten ihre Äxte schartig, als hieben sie damit gegen die Felsen; fluchend verrichteten sie ihre Arbeit. Und die Mataltaberger Holzknechte fluchen wohl auch heute noch, wenn ein fester Lärchenbaum unter ihren Streichen nicht fallen will: „Du verflixta Peta!"

Quelle: Georg Graber, Sagen aus Kärnten, Graz 1941.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Harald Hartmann, Februar 2006.
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