Die Kirche von Maria-Rain

Es war in der Zeit, als die wilden Türkenhorden häufig in unsere Länder einfielen und sie auf das furchtbarste verwüsteten. Auch Kärnten und besonders das Rosental und die nächstgelegenen Ortschaften hatten unter ihnen viel zu leiden. Getreidefelder mähten sie ab, was einen Wert hatte, nahmen sie als Beute mit in ihre Heimat. Häuser wurden niedergerissen, und ganze Ortschaften gingen in Flammen auf. Auch das Kloster Viktring wollten sie ausrauben. Das erfuhren aber die Mönche noch rechtzeitig. Als kostbarstes Kleinod des Klosters betrachtete man die Monstranz, in der drei Tropfen von Jesu Blut enthalten waren. Sie war aus Gold gefertigt, und wenn sie ein Kranker im rechten Glauben küßte, so wurde er gesund. Man riet nun hin und her und fand doch keinen geeigneten Qrt zu ihrem Versteck. Endlich wurde man einig, die Monstranz nach Maria-Rain zu bringen, das zur selben Zeit nur aus einer Einsiedelei bestand, in welcher ein Mönch wohnte. Da Maria-Rain auch ziemlich abseits von der Straße und im Walde lag, so hoffte man, daß die Türken dorthin nicht kommen würden. Eines schönen Frühlingmorgens versammelte sich viel Volk in Viktring, um der heiligen Monstranz auf dem Wege nach Maria-Rain das Geleite zu geben. Die Leute gingen über wohlbebaute Felder und achteten nicht auf das Gras und das Getreide, das von ihren Füßen zertreten wurde. Kein Halm stand auf dem Wege, auf dem sie gingen, mehr aufrecht. Als die Bauern, denen die zertretenen Felder gehörten, das bemerkten, begannen sie zu murren. Besonders einer war es, welcher es sehr arg trieb. Er lästerte Gott und schimpfte über seine Ungerechtigkeit. Als der Zug am Ziele anlangte, gingen alle in die Einsiedelei, um dort zu beten. Wie aber staunten sie, als sie aus der Kapelle kamen. Niemand sah mehr, wo sie früher gegangen waren, denn alles niedergetretene Gras war wieder aufgestanden. Das Feld des Gotteslästerers blieb aber niedergetreten. Er schämte sich deshalb vor den anderen und schwur, daß er, wenn auch sein Gras wieder aufstehe, an Stelle der Kapelle eine schöne Kirche werde bauen lassen. Wirklich wurde es auf seinem Felde wieder grün, und zum Dank dafür baute er die Kirche, die noch jetzt zu sehen ist. Nach und nach siedelten sich um die Kirche Bauern an, und so entstand das heutige Maria-Nam. Die Monstranz blieb aber in Maria-Rain, und noch heute wird sie bei außergewöhnlichen Festen dem Volke zum Kusse gereicht.

Quelle: Georg Graber, Sagen aus Kärnten, Graz 1941.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Harald Hartmann, Februar 2006.
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