Das Opfer

In Pusarnitz, am nördlichen Rande des Lurnfeldes, zeigt man auf dem alten Friedhofe gleich hinter der Kirche einen auffallend großen Grabhügel. Von diesem berichtet die Sage folgendes: Vor Jahren wütete zu Pusarnitz die Pest und forderte so zahllose Opfer, daß bereits Gefahr bestand, die Gegend werde völlig entvölkert werden. Da hörte man eines Tages aus der Luft eine Stimme erschallen, welche kundgab, daß die Seuche sofort erlöschen würde, wenn man einen Menschen lebendig begrabe. Die Leute, welche dies hörten, wußten sich nicht zu raten, keiner wollte freiwillig eines so schrecklichen Todes sterben. Endlich einigte man sich dahin, daß der, welcher am folgenden Sonntag nach der Messe zuerst die Kirche verlasse, das Opfer sein solle.

Zwei Männer hielten vor dem Kirchtor Wache, als ein junges Mädchen, die Bognerkellnerin, aus der Kirche trat. Doch kaum war sie einige Schritte vorwärts geeilt, so wurde sie von den Männern ergriffen und zum Grabe geschleppt, das zu diesem Zwecke aufgeworfen war. Wohl bat sie die Männer händeringend, sie doch zu verschonen; sie habe die Kellerschlüssel bei sich und müsse nach Hause eilen. Aber ehe die Leute aus der Kirche kamen, lag sie in der Grube, Steine und Erdschollen bedeckten sie.

So hatte sie ihr junges Leben dem Wohle der ganzen noch übrigen Bevölkerung opfern müssen, das Wüten der Pest aber hörte sogleich auf.

Auf dem Grabhügel wurde ein Holunderstrauch gepflanzt, zum Zeichen, daß das Opfer der Seuche da begraben liege. Als der Strauch immer größer wurde, beschnitten ihn die Leute sorgfältig, damit er ja nicht den First der nahen Kramerkeusche überrage. Denn dann, so geht die Sage, kehrt die Pest wieder. Im vorigen Jahre wurde er umgehauen. Die Größe des Grabhügels erklärt die Sage damit, daß er wenige Jahre nach dem Tode des unglücklichen Mädchens immer größer geworden sei.

Quelle: Georg Graber, Sagen aus Kärnten, Graz 1941.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Harald Hartmann, Februar 2006.
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