Von der Gräfin Salamanka
Wo die grünblaue Licser, das Gebirge durchbrechend, in das weit geöffnete Tal hinausspringt und durch das Lurnfeld der Drau zueilt, liegt der freundliche Markt Spittal. Weit schweift das Auge talauf und talab, bis es an den schlanken Spitzen der ringsumher liegenden Berge ruhen bleibt. Gegen Nordwesten erhebt sich die mächtige Kreuzeckgruppe, rechts von dieser, in gerader Fortsetzung des Drautales, reicht der Blick ins Mölltal hinein, bis der bewaldete Kegel des Danielsberges die weitere Aussicht verhindert. Von den naheliegenden Bergen ragt besonders das Gmeineck und das Guldeck [Goldeck] hervor. Unter dem Guldeck, auf vorspringender Anhöhe, steht die Ruine Ortenburg, einst der Sitz eines mächtigen Geschlechtes. Nach der Zerstörung der Ortenburg auf dem Guldeck baute der damalige Besitzer des Schlosses, Graf Georg, diese schöne Burg. Er war der Gatte eines wegen seiner Härte und Bosheit übel berufenen Weibes. Die Geschichte und Sage haben ihren Geschlechtsnamen, um ihn nicht zu brandmarken, nicht bewahrt und nennen sie nur Katharina von Salamanka. - Aus dieser Ehe entsproß Johann, der einzige Sohn und Erbe des ganzen Gutes und der letzte Sprosse seines Geschlechtes. Während der Graf selbst gutmütig und daher beim Volke sehr beliebt war, zogen sich Salamanka und ihr Sohn durch ihr stolzes und herrschsüchtiges Wesen die Ungunst der Bevölkerung zu. Bei einem Feste, das Graf Georg seinen Rittern gab, mißhandelte Salamanka geradezu das Volk, wofür sie auch die entsprechende Strafe erhielt. Die arme Bevölkerung Spittals hatte sich im Burghofe angesammelt und bat die Gräfin, ihr die Abfälle des Gastmahls zu überlassen. Salamanka jedoch befahl den Leuten, den Hof sofort zu verlassen, und als diese ihrem Befehl nicht sofort nachkamen, hetzte sie die beiden Doggen ihres Sohnes auf die Leute los. Erschreckt floh alles aus dem unwirtlichen Schlosse. Nur ein Greis, der alte Mesner des Marktes, konnte den anderen nicht folgen. Er wurde von den Doggen ergriffen und endete unter ihren Zähnen. Sterbend aber rief er der unmenschlichen Gräfin die Worte zu: „So wie ich jetzt sterbe, wird auch Johann, dein Sohn, einst enden."
Ruine Ortenburg bei Spittal an der Drau.
© Harald Hartmann, August 2006
Kurze Zeit darauf erscholl die Kunde, daß sich spanische Reiter auf dem Zuge nach Wien in Villach aufhielten. Da das Geschlecht des Grafen aus Spanien stammte, so beschloß Johann, nach Villach zu reiten und die Fremden aufzusuchen. Trotz der Warnung seiner Mutter, die einen unheilkündenden Traum gehabt hatte, ließ Johann seinen Rappen satteln und machte sich in Begleitung seiner Doggen auf den Weg nach Villach. Dort angekommen, wurde Johann auf dem Hauptplatze plötzlich von einem spanischen Ritter angesprochen. Im Laufe der Rede stellte es sich heraus, daß dieser Ritter der Sohn jenes Mesners sei, der durch Johanns Doggen ein so schauerliches Ende gefunden hatte. Der Ritter hatte Johann sofort erkannt, und da er viele Jahre seine Heimat und seinen Vater nicht gesehen hatte, so brannte er vor Sehnsucht, endlich etwas über sie zu erfahren. Johann verschwieg natürlich die Tatsache und gab dem Ritter eine zufriedenstellende Antwort. Erfreut über diese frohe Botschaft, gab der Ritter zwei Hunde aus edler Rasse dem Junker zum Geschenke. Dieser war darüber sehr erfreut, denn die spanischen Hunde übertrafen seine bei weitem an Wert. Zufrieden streichelte er die kostbaren Tiere. Infolgedessen begannen seine Hunde zu knurren und eifersüchtig griffen sie ihre Gegner an. Johann wollte die Hunde mit seiner Peitsche trennen, da stürzten sich alle vier vereint auf ihn und ehe man ihm zu Hilfe kommen konnte, war er eine Leiche.
Graf Georg, an seinen Gliedern von Gichtleiden gefoltert, verdorrt im Herzen, da ihm an der wütend herrischen Gattin nun jede erfrischende Lebensfreude fehlte, erlag auf die Nachricht vom Tode seines einzigen Sohnes einem Schlaganfalle.
Salamanka herrschte nun gewaltsüchtiger denn je. Sie entließ die ganze Dienerschaft und, von den Menschen langst geflohen, zog sie sich ganz in die Einsamkeit zurück. Ihre versteinerte Brust quälte nur noch der eine Gedanke, ihre Schätze Fremden überlassen zu müssen, Um dem Verrate zu entgehen, tötete sie mit Hilfe ihrer Kammerfrau den Maurer, der sie im tiefen Kellergewölbe verschlossen hatte. Aber auch diese Zeugin sollte sterben; sie schlug die Schlummernde mit ihrem gewichtigen Pantoffel an den Kopf und stürzte sie in das geheime Gemach. Salamankas Körper wurde eines Tages tot im Schlosse aufgefunden. Ihr Geist aber wandelt noch heute in den Räumen des Schlosses als Gespenst umher.
Noch vergegenwärtigt ihre Gestalt und ihr einstiges Walten das in einem Gange der Burg vorhandene Gemälde, welches sie in schwarzem Gewande, in einer Hand den Schlüsselbund, in der andern den verhängnisvollen Pantoffel, vorstellt. So soll sie einer der nachherigen Fürsten gesehen haben, denn von jener Zeit an war sie das Schreckbild der Burg und der Umgegend.
Viele Jahre waren seit jenen grausen Ereignissen vergangen. Fröhliche Menschen wohnten in dem alten Schlosse, in dem alles zu einem großen Feste rüstete; sollte doch in Kürze die schöne Tochter des Burgherrn Hochzeit halten. Emsig schufen geschickte Hände am Brautstaat des Fürstenkindes. Da fand sich eines Morgens die ganze Arbeit zerstört; nur zertrennte Lappen lagen in allen Ecken des Saales umher. Was immer der Fürst versuchte, dem allnächtlich wiederkehrenden Spuk zu steuern, es war vergebens. „Die Salamanka, die Salamanka!" flüsterte man leise, und Ahnung kommenden Unheils zog in die Gemüter. Da erschien eines Tages ein schwarzgekleideter Bote in der Burg und brachte die Trauerkunde, daß der Bräutigam der Fürstentochter auf der Reise gestorben sei. So hat sich Salamanka als Künderin kommenden Unheils gezeigt.
Ein junger Soldat hörte in der Schenke zu Spittal von der Gräfin Salamanka erzählen und erklärte das Gehörte für alberne Erfindung. Er erlangte vom Wirte die Erlaubnis, eine Nacht in der eben unbewohnten Burg zuzubringen. Beim nächsten Morgengrauen verließ er das Schloß auf kürzestem Wege, ohne von den Erlebnissen der Nacht ein Wort verlauten zu lassen. Der Kastellan aber fand an der Wand des Saales die Spuren kräftiger Säbelhiebe.
Ruine Ortenburg bei Spittal an der Drau.
© Harald Hartmann, August 2006
Einst war im Schlosse zu Spittal eine zahlreiche Gesellschaft beim festlichen Mahle vereint, als einer der Gäste seine Augen suchend über die Versammelten schweifen ließ. Auf die Frage der Hausfrau, wen er vermisse, erzählte er folgendes: In der letztverflossenen Nacht sei ihm das Licht erloschen und da er sich erinnerte, daß im Gange ein Lämpchen brenne, sei er hinausgegangen, seine Kerze daran zu entzünden; da kam ihm eine hohe, bleiche Frau mit einer Laterne entgegen. Stumm habe sie ihm bedeutet, seine Kerze an ihrer Lampe zu entzünden, und stumm sei sie hierauf weitergeschritten. Diese Frau, die er für des Hauses Altermutter halte, vermisse er und sie habe sein Auge vorhin gesucht. Die Hausfrau wurde ernst, erhob sich und schritt dem Gaste voran in den Ahnensaal. Bei dem Bilde der Salamanka angekommen, rief der Fremde, die sei es, die er nachts wandeln gesehen.
Mit geheimem Grauen hörten die einen der Festgenossen, mit Spott und Unglauben die anderen die Erzählung von der nächtlichen Begegnung mit der Salamanka. Ein übermütiger Ritter beschloß bei sich, als Dame Salamanka verkleidet, die Feigen zu erschrecken und die Mutigen zu erheitern. In gut gewählter Tracht, ein Laternchen in der Hand, harrte er in einer Nische des Ganges verborgen auf einen einsamen Wanderer, nticht lange hatte er gewartet, als er nahende Schritte vernahm; er trat vor - und vor ihm stand mit flammendem Blicke Salamanka. Mit kräftiger Hand schleuderte sie den Entsetzten zurück, der regungslos bis zum Morgen liegen blieb. Als man ihn gefunden und wieder zu sich gebracht hatte, vernahm man aus seinem Munde das Erlebnis der Nacht, das allen Frevlern zur Lehre dienen möge.
Quelle: Georg Graber, Sagen aus Kärnten, Graz 1941.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Harald Hartmann, Februar 2006.
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