Die saligen Frauen (Salkweiber, Salaweiber)
1. Im Rosentale, besonders in der Umgebung von Rosegg, lebten einst viele Salkweiber. Es waren dies Frauen mit ungestalten Füßen. Sie hielten sich in Höhlen am Ufer der Drau auf und nährten sich von Fischen. Im allgemeinen galten sie als menschenscheu, doch wenn sie mit dem einen oder andern zufällig zusammenkamen, standen sie ihm in Rat und Tat bei.
Um die Zeit der Wintersonnenwende schritt ein Bauer seiner Behausung zu. Da hörte er von den Felsen am andern Drauufer eine Stimme, welche ihm zurief: „Bauer, sä’ Bohnen!“ Da er gerade bei guter Laune und zu einem Scherze aufgelegt war, tat er, wie ihm geheißen, und säte ein ganzes Schaff Bohnen in den Schnee. Als er am nächsten Morgen wieder an der Stelle vorüberkam, sah er hochgewachsene grüne Ranken, an denen aber keine Fruchthülsen zu bemerken waren. Da hörte er, ganz in den rätselhaften Anblick versunken, dieselbe Stimme als am Tage zuvor. Sie riet ihm, seine Schweine aus dem Stalle zu lassen. Der Bauer befolgte diese Worte, und die Tiere fielen grunzend über die grüne Saat her und taten sich mitten im Winter an dem grünen Futter gütlich. Da bemerkte unser Mann, als er näher hinsah, daß die hohlen Stengel der Pflanzen mit Früchten dicht angefüllt waren. Freudig erntete er jetzt die Bohnen ein und bewahrte den Salkweibern ein treues Andenken.
2. Wenn aber der Mond mit seinem silbernen Lichte vom dunkelblauen Himmel erglänzte, umstrahlt von viel tausend flimmernden Sternen, da ergriff auch die Salkweiber ein starkes, heimliches Sehnen nach anderen Wesen. Wehe dem jungen Burschen, der in einer solchen Mondnacht in ihre Nähe kam, es ging ihm wahrlich nicht gut. Er wurde von den Höhlenbewohnerinnen erfaßt und so lange geherzt und geküßt, bis er entseelt zu Boden fiel. Nur wer singend oder mit der Peitsche knallend vorüberging, konnte ungehindert seines Weges ziehen, da ihnen jeder Lärm verhaßt war. Lange hausten die Salkweiber in ihren Höhlen. Als aber Waffenlärm ins Tal drang, flohen sie und waren seit jener Zeit nicht mehr sichtbar.
Manche Leute halten sie für die Ureinwohner des Drautales, die in den Kämpfen mit den nachgekommenen kleineren Menschen ihren Untergang gefunden hätten. Bei Mühlbach im Rosentale zeigt man einen Draufelsen, welcher im Volksmunde noch heute Salkfelsen genannt wird.
3. In der Ortschaft Mieger kann man dieselbe Sage hören von den „Saligen Frauen“. Dies waren schöne, schlank gewachsene Mädchen mit lang wallendem, goldenem Haar. Sie wohnten unfern der Drau auf den Bergen. Allabendlich, wenn der grüne Wald vom Purpurscheine der untergehenden Sonne überflutet war, verließen sie ihre Höhlen und wandelten schäkernd und singend zum Flusse. In seinen Wellen, auf denen zauberische Dämmerung geheimnisvolle Schatten malte, wuschen sie ihre Linnen, die bleicher waren als die glänzenden Schneefelder der Karawanken.
In den Felswüsten dieses Gebirges hauste ein Riese, der den Frauen viel Kummer bereitete. Denn die Saligen waren sein Lieblingswild und eine Maid, die in seine Gewalt fiel, sah ihre fröhlichen Genossinnen nie wieder. Daher baten sie die Bauern der Umgebung, daß sie die Holzstrünke der gefällten Waldbäume mit Kreuzen bezeichneten; wenn nämlich eine Salige auf der Flucht vor einem Riesen sich ans einen dieser Strünke setzte, war sie gegen alle Angriffe ihres Todfeindes geschützt.
Heute noch zeigen Mütter ihren Kindern einen niederen Bergrücken, über welchen sich ein Weg schlängelt, und erzählen ihnen, daß auf diesem Wege einst die Saligen Frauen zur Drau gegangen seien, um ihre Wäsche in den Fluten zu spülen.
4. In einer Ortschaft, die nahe bei den Salkhöhlen gelegen war, lebte eine arme Bäuerin. Schon am frühen Morgen sah man sie im Hause und auf den Feldern emsig schaffen. Während sie nun eines Morgens auf dem nahen Felde arbeitete, schlich sich ein Salkweib in die Stube und legte sich in der Bäuerin Bett. Als diese nach Hause kam und das Mädchen in ihrem Bette sah, schritt sie ehrfurchtsvoll hinzu und hob das langwallende Goldhaar, das auf den Boden geglitten, auf das Bett. Die Schlafende bemerkte es, stand auf, nahm ein Haar aus ihren schweren Flechten und reichte es der Bäuerin mit den Worten: „Setze dieses Haar auf den Spinnrocken und die Leinwand in deinem Hause wird nie ausgehen. Nur darfst du beim Spinnen nicht die Geduld verlieren.“ Alsdann verschwand sie.
Schon aus Neugierde setzte sich die Bäuerin sofort ans Rad und siehe, der Faden nahm kein Ende. Da ihre Leinwand jetzt weit und breit als die beste galt, gelangte sie bald zu großem Wohlstande. Aber eines Tages machte sie ihrer üblen Laune mit den Worten Luft: „Wird denn der Faden gar kein Ende mehr nehmen?“ Kaum waren sie ausgesprochen, als auch das Spinnrad leer war. Aber die Bäuerin hatte sich genug erworben und verlebte die folgende Zeit ohne Sorgen.
5. Auf einem Hügel oberhalb Unterbergen hausten Salige Frauen (Žalk žané) und riefen: „Bauer, sä’ Bohnen!“ Die Braven folgten und säten Bohnen die Schlimmen dagegen kümmerten sich nicht darum und säten etwas anderes. Dafür mißriet ihnen alles, während jene reiche Frucht ernteten. Mit der Zeit kamen immer mehr Fuhrleute, welche mit Peitschen schnalzten und laut fluchten. Dadurch vertrieben sie die Beraterinnen der Bauern aus jener Gegend.
6. Auf dem Dragonerfelsen bei Trixen hatten Salige ihre Wohnung. Unterhalb des Felsens ging die Straße nach dem Eisenwerke Lölling. Täglich verkehrten hier viele Fuhrwerke, welche nach Lölling Brennstoff, auf dem Rückwege „Floschen“ (Eisen) führten.
Hochofen in Lölling.
© Harald Hartmann, August 2006
Einem solchen Fuhrmanne riefen die Saligen mitten im Winter zu, er solle zu Hause Erbsen säen, und wiederholten dies an zwei folgenden Tagen, bis sich der Mann dazu entschloß. Zwar waren am Tage nach der Aussaat die Erbsen im Schnee verschwunden, aber er hatte jetzt vor den Weibern Ruhe. Nach der Schneeschmelze freilich zeigte es sich, daß das Feld mit der Erbsensaat schon vollends grünte, während die übrigen erst bestellt werden mußten.
Hammerwerk in Lölling.
© Harald Hartmann, August 2006
7. Bei Zedras in der Gemeinde Ludmannsdorf heißt eine Bodenvertiefung Saligengrube (Žalik jama), weil sie angeblich den Saligen Frauen zum Aufenthalte diente. Unweit der Ortschaft Rupertiberg (Gemeinde OberOdörfel) führen Felsvertiefungen den Namen Sedliče, d. h. Sitze. Diese zwei oder drei Mulden dienten den Saligen als Ruheplätze, von wo sie den umwohnenden Bauern mit schallender Stimme ihren bekannten Rat erteilten.
8. Unweit der in der Gemeinde Köttmannsdorf gelegenen Ortschaft Tschachoritsch, in den zur Drau abstürzenden Felsen, war ein Aufenthaltsort der Saligen Frauen. Ein Weiblein aus der Gegend erzählte hierüber: Die Saligen wohnten stets zu zweien. Sie waren überlebensgroß, hatten insbesondere schönes, langes Haar und erwiesen den Menschen Wohltaten. Ihre Wohnung bestand aus einer Höhle, welche Fenster und eine Tür hatte. Es wird behauptet, daß sich eine eiserne Tür, die davon herrührt, noch jetzt beim Vouk (Wolf) in Dornach bei Kappel an der Drau befinde. Beim „Hafner“ in Tschachoritsch soll sich eine Salige öfter zu Bette gelegt haben. Man erzählt auch hier die Geschichte von den Haarflechten, welche die Bäuerin aufhob, und von dem Knäuel Garn, das kein Ende nehmen wollte, bis einst die Beschenkte ihrem Unmute in lauten Worten Luft machte. Noch jetzt wird in der Gegend davon gesprochen, daß sich dieses Haus einst großen Wohlstandes erfreute. Auch die Geschichte von der Bohnensaat kehrt wieder.
9. Auf der Krna bei St. Egiden an der Drau finden sich einige Felshöhlungen, die den Namen „Weiberkirchlein" (babja cirkuca) führen, weil dort einmal Salige gewohnt haben sollen, welche den Menschen freundlichen Rat erteilten. Im allgemeinen wiederholen sich hier die bekannten Züge, nur heißt es noch, daß die Saligen später liebestoll geworden seien und mehreren Burschen durch Küsse die Seele aus dem Leibe gesaugt hatten. Dadurch gerieten sie in schlechten Ruf, und niemand wollte mit ihnen mehr zu tun haben.
10. Im Gerlouz findet sich ein Felsen, welcher vollkommen die Form einer sitzenden Saligen Frau haben soll. Die Leute erzählen, dort hatten solche Wesen einst gewohnt und diesen Stein als Erinnerung an ihr Wirken zurückgelassen. Ein Bauer befahl seinen Schnitterinnen, die letzten Ähren nicht so ängstlich aufzulesen, damit für die Saligen auch etwas übrigbleibe. Danach kamen die Saligen herbei, lasen die Ähren sorgfältig auf und gingen mit Gebärden des Dankes in einen Graben, wo ihrer zwei das Getreide droschen. Eine reichte die Ähren dar, die andere zerklopfte sie und schob das Mehl auf einen Haufen. Da sagten sie zu zwei Bauern, die des Weges kamen, sie sollten bei der Rückkehr wieder kommen, jeder werde ein Brot erhalten. Der eine war sehr erfreut, der andere spöttelte über den Reichtum der Weiber. Auf ihrem Rückwege gingen sie wieder zur Stelle und jeder bekam ein Laiblein. Der Dankbare hob es auf und sagte: „Dieses Brot darf nie von meinem Hause, lieber will ich Hunger leiden!“ Sein Gefährte warf es verächtlich beiseite. Jener hatte von nun an in Überfluß Getreide und ward ein wohlhabender Mann; dieser aber gewann von seinen Äckern von Jahr zu Jahr weniger Ertrag.
Quelle: Georg Graber, Sagen aus Kärnten, Graz 1941.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Harald Hartmann, Februar 2006.
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