Die Saligen in Oberkärnten

Als Salige oder Weiße Frauen bezeichnen die Bewohner des Möll-und Drautales hehre, lichte Gestalten, die in Höhlen der Felsen und auf Bergen oder an Gewässern wohnten. Sie verkehrten gerne mit Menschen, die sich in der Nähe niedergelassen hatten, um sie bei den Haus- und Feldarbeiten zu unterstützen, nahmen aber keinen Lohn an. Gab man ihnen ein Geschenk, so kamen sie nie wieder. Mutwilliges Fluchen, Peitschenknall und andere Bosheiten der Menschen haben sie endlich vertrieben.

 

1. In Fragant kam alljährlich eine schöne Frau zu einem Bauer, so oft er auf die Alm ging, um das spärliche Heu zu gewinnen, und half ihm bei dieser Arbeit. Abends verschwand sie auf ebenso geheimnisvolle Weise wie sie morgens erschienen war. Die Bäuerin erfuhr von den häufigen Besuchen der fremden Frau, ward eifersüchtig und beschloß sich an ihr zu rächen. Sie begab sich auf die Alm und traf die Salige bei ihrem Manne im Bette schlafend. Leise schlich sie hinzu und schnitt der schlafenden Frau das prächtige Blondhaar ab. Wie die Salige den an ihr verübten Frevel gewahrte, stieß sie einen Schrei aus und verschwand. Nie ist sie wieder gesehen worden.

 

2. Ein Gailtaler Bauer trug einer Saligen an, sein Eheweib zu werden. Sie sagte: „Ich will gerne bei dir bleiben, nur darfst du mich nicht mit der tenkaten (linken) Hand) berühren.“ Der Bauer gab das verlangte Versprechen und lebte viele Jahre glücklich an ihrer Seite. Eine Schar lieblicher Kinder belebte das Haus und nichts schien das Glück des Paares stören zu können, bis einst der Bauer unversehens sein Weib mit der linken Hand umfing. Ein Zittern ging durch ihren Leib und weinend sprach sie: „Jetzt muß ich fort von euch.“ Sie legte ihre Menschenkleider ab und das Gewand an, welches sie einst getragen, öffnete ihr langes, in Zöpfen geflochtenes Haar und verschwand im Gewände. Doch um Mitternacht kam sie heimlich in die Schlafstube, säugte das jüngste Kind und kämmte und wusch die anderen. Ein Abkömmling dieser Familie soll ein berühmter Parteigänger Wallensteins gewesen sein.

 

3. Das Gailtal und das Gitschtal wurden einst von den Rittern von Weißbriach beherrscht. Ihre Burg stand auf einem Berge zwischen den Dörfern Weißbriach und St. Lorenzen, der im Volksmunde das Golzigseck heißt. In den Felsen dieses Berges und oberhalb davon in einem noch höheren Berge wohnten die Saligen Frauen. Sie waren den Menschen gut gesinnt und halfen ihnen auch bei der Arbeit. So schnitten sie einst dem „Stofflbauer“ bei Weißbriach die Bohnen auf dem Felde. Der Bauer hatte gerade viel Arbeit und da gedachte er der Saligen, von denen er gehört hatte, daß sie den Menschen Arbeit verrichteten, wenn man ihnen ihr Lieblingsgericht, den Pfennigbrein, auf das Feld stelle. Er tat dies. Als er dann nachsehen ging, waren die Bohnen geschnitten, die Schüssel ausgeleert und umgestürzt, doch die Schoten waren leer. Er führte sie trotzdem nach Hause und drosch sie; da gab es wieder reichlich Bohnen.

 

  1. Die Saligen Frauen waren den Manschen für gewöhnlich unsichtbar, konnten sich aber sichtbar machen. Wenn man ihnen ihre Kleider wegnahm, konnten sie sich nicht mehr verbergen und mußten bei den Menschen bleiben. Ein junger Bauer, der Stampferbauer aus Techendorf am Weißensee, nahm einer Saligen die Kleider weg. Nun zwang sie ihn, sie zu heiraten, verbot ihm aber strenge, je mit den Händen eine abwinkende Bewegung zu machen. Würde er dies Verbot übertreten, so müßte sie ihn verlassen. Der Bauer vermied diese Handbewegungen, doch einmal kamen die Hühner bis in die Stube herein, und er jagte sie hinaus, indem er sie mit den Händen abwehrte. Von dieser Stunde an war die Bäuerin verschwunden. Der Bauer heiratete wieder. Seine zweite Frau sah einmal aus ihrem Bette einen Zopf heranshängen. Sie nahm die Schere und wollte ihn abschneiden. Da stand plötzlich die erste Frau des Bauers vor ihr und sprach:

„Krumm und krank
in diesem Haus
und nicht mehr draus."

Von dieser Stunde an hinkte der Bauer mit einem Beine und auch jeder folgende Besitzer des Hofes war krumm. Das war der Fluch der Saligen Frau.

 

5. Wenn man von Techendorf über den Weißensee nach Westen fährt, erblickt man am Ufer eine Höhle, das sogenannte Dolmetzenloch. Die Leute erzählen, daß einst die Weißen Frauen dort gehaust hätten. Von einer solchen berichtet die Sage, daß sie so lange Eheweib eines Bauers war, bis dieser einst die in das Vorhaus getretenen Schafe mit Händeklatschen vertrieb. Seine Klagen um das geliebte Weib fruchteten nichts, die Weiße Frau blieb verschwunden. Jeden Sonntag aber kam sie heimlich ins Haus, wusch und kämmte die Kinder und brachte das Haus in Ordnung; doch immer ungesehen von dem Bauer. Da lauerte er ihr einmal auf und bat sie, doch bei ihm zu bleiben und ihm das einzigemal zu verzeihen. Aber sie achtete seines Flehens nicht und verschwand. Kein Auge hat sie jemals mehr gesehen.

 

6. Im oberen Gailtale liegt ein Ort mit Namen Danz. Bevor die dortige Bevölkerung den Christenglauben angenommen hatte, soll in der Nähe des Ortes ein Turm gestanden haben, der jetzt nicht mehr vorhanden ist; aber noch heißt der Platz Heidenturm. In seinen Kellern sollen große Schätze von Gold und Silber liegen. Oft wollen Leute aus den umliegenden Ortschaften um Mitternacht dort ein Licht hin und her huschen gesehen haben, welches die Stelle anzeigt, wo die Schätze liegen. Unweit davon führt ein Waldweg auf den nahen Berg, in dessen Höhlungen der Sage nach sich die Weißen Frauen aufhielten. Diese waren von übernatürlicher Größe und bezaubernder Schönheit. Sie besaßen die Gabe der Weissagung, weshalb von weit und breit Leute Herbeikamen, um sich bei ihnen Rat zu holen. Neben dem alten Turme war ihr Tanzplatz, wo sie in bestimmten Nächten um die Mitternachtsstunde ihre Reigentänze aufführten. Aber als das Christentum in der Gegend Eingang fand, besuchten sie ihren Tanzplatz immer seltener, bis sie endlich ganz verschwanden. Nur der Ortsname Danz soll noch die Erinnerung an ihre nächtlichen Reigen bewahren.

Quelle: Georg Graber, Sagen aus Kärnten, Graz 1941.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Harald Hartmann, Februar 2006.
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