Der Schatz auf Schloß Kellerberg
Manche Sage über Schätze im Schlosse Kellerberg im Drautal beruht auf der Meinung, daß durch das Erdbeben von 1348, welches das alte Schloß in Trümmer legte, eine ungeheure Geldmenge verschüttet worden sei. Noch jetzt gibt es Leute, die des Geldes habhaft werden wollen, obgleich schon Tannen und Fichten den Platz bedecken, wo einst die Burg gestanden hat. Einigen soll es wohl gelungen sein, versteckte Schätze zu heben, so einem alten Binder, dessen Nachkommen noch leben. Aber er hat die Gelegenheit leichtsinnig verscherzt. Dieser Mann, zugleich Besitzer eines kleinen Bauerngutes, war eines Abends auf der Suche nach einem verlorenen Kalb auf den Burgplatz gelangt, als es schon fast Mitternacht war. Da sah er von der Spitze des Schuttkegels herab langsamen Schrittes eine weiße Gestalt nahen, an der kein Gesicht zu erkennen war. Erschrocken schlug er schnell ein Kreuz über Haupt und Brust, denn zum Fliehen war es zu spät. Die erhabene Erscheinung blieb vor ihm stehen und sprach nur die zwei Worte: „Folge mir!“ Der Faßbinder, der nicht zu den Feigen gehörte, folgte ihr in das Gemäuer; dort machte der Geist vor zwei Fässern halt und bat ihn, an jedem einen neuen Reifen anzubringen. Sie waren bis zum Rande mit Schneckenhäuschen gefüllt. Er dürfe aber von ihrem Inhalte nichts nehmen, denn er würde hohen Arbeitslohn erhalten. Nach diesen Worten verschwand die Gestalt, und der Binder ging hurtig ans Werk. Während er sich also an den Fässern zu schaffen machte, sah er die Schneckenhäuschen, die ihm wegen ihrer schönen Form und Farbe so gefielen, daß er einige, ohne mehr an das Verbot zu denken, in die Tasche steckte, um sie seinem kleinen Sohne als Spielzeug heimzubringen. Kaum war er mit der Arbeit fertig, da verschwanden die Fässer vor seinen Augen, und schon stieg der neue Tag herauf. Kopfschüttelnd trat der Binder den Heimweg an, wobei er sein Kalb, dessen er schon fast vergessen hatte, ruhig neben dem Wege grasen sah. Er führte es nach Hause. Die Morgensonne lachte über der Gegend, als er im Dorfe Kellerberg anlangte. Vor allem versorgte er sein Kalb im Stalle, dann betrat er seine Wohnung. Da fielen seine Blicke auf die Wiege des Jüngsten, das eben aus süßem Schlaf erwachte und dem Vater zulächelte. Da erinnerte er sich der Schneckenhäuschen, welche er mitgenommen, und langte in die Tasche. Aber was war das? Statt solcher hielt er blanke Goldstücke in der Hand. Nun tauchte das Erlebnis der verflossenen Nacht wieder in seinem Geiste auf und er erkannte sein Vergehen, weswegen ihm die weiße Gestalt nach Vollendung der Arbeit nicht mehr erschienen war.
Oft noch soll dieser Binder nachts beim Schutthügel auf die Erscheinung gewartet haben, aber der Geist zeigte sich nicht mehr.
Quelle: Georg Graber, Sagen aus Kärnten, Graz 1941.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Harald Hartmann, Februar 2006.
© digitaler Reprint: www.SAGEN.at