Selbertån

Auf einer hohen Alm im Mölltale kam zu einem Halter jedes Jahr, solange er die Hütte bewirtschaftete, des Abends ein häßlicher Almgeist, halb Mensch, halb Pferd von Gestalt, und sagte zu ihm: „Kratze mir den Rücken." Aus Furcht gehorchte der Mann und kratzte des Untiers Rücken, bis ihm die Hände vor Ermüdung zu brechen drohten. Endlich wußte er sich nicht mehr zu helfen; er war des gezwungenen Liebesdienstes satt und wollte die Alm für immer verlassen. Mit seinem Bündel stieg er ins Tal und kündigte dem Bauer den Dienst, indem er erklärte, die nächtlichen Besuche nicht mehr empfangen zu wollen. Der Bauer dachte darüber nach und schickte ihn zum Pfarrer, um dessen Meinung zu hören. Dieser riet dem Halter, auf die Alm zurückzukehren. Wenn das Untier wiederkomme und ihn um seinen Namen frage, solle er sagen „Selbertån“ (das ist Selbst getan); und wenn es wieder verlange, ihm den Rücken zu kratzen, solle er mit einer glühend gemachten Hechel, die von dem Pfarrer zu diesem Zweck geweiht wurde, darüberstreichen.

Nun begab sich der Halter wohlgemut zu seiner hochgelegenen Hütte zurück. Wirklich erschien noch am selben Abend der Besuch und fragte, was er bisher nie getan, wie der Halter heiße. Dieser erwiderte: Selbertån. Als darauf der Geist von ihm den gewohnten Dienst verlangte, holte er die im Herdfeuer bereitgehaltene Hechel und fuhr mit dem glühenden Werkzeuge dem unangenehmen Gast über den Rücken, so daß dieser ein jämmerliches Gebrüll erhob und aus der Hütte entfloh. Mit einem Male rief es auf der anderen Seite des Tales: „Wer hat es getan?“ Und der gebrannte Unhold gab zur Antwort: „Selbertån.“ Da tönte es von der jenseitigen Halde schadenfroh herüber: „Selber tuan, selber håb’n, selber koch’n, selber schåb’n.“ Von dieser Zeit an wurde der Hirte auf der Alm nicht mehr belästigt und verbrachte dort noch viele Sommer.

Quelle: Georg Graber, Sagen aus Kärnten, Graz 1941.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Harald Hartmann, Februar 2006.
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