Die Teadin bei der Quelle von Fessernitz

In Feffernitz, einem Dorfe in der Mitte des unteren Drautales, wurde von jeher viel Flachs angebaut. Man erzählt, daß in den Brechelhütten eine schwarze, gespenstige Frauengestalt in der Nacht Flachs spinne und dabei singe und lache. Je öfter man ihren Gesang vernahm, desto sicherer konnten die Bewohner auf eine gute Flachsernte hoffen. Jedermann hütete sich des Nachts, in die Nähe der Brechelhütten zu gelangen, denn man erzählt, daß diese schwarze Frau (vom Volke Teadin [Tod] genannt) jede Neugierde mit dem Tode bestrafe. Oft sah man nachts eine dunkle Gestalt über die Mooswiesen des Dorfes huschen, hinunter zu einer am Ufer der Drau entspringenden, mit dichtem Gebüsch umwachsenen Quelle. Dort hörte man die Teadin waschen und plätschern, und niemand wagte sich nach dem Gebetläuten an die Quelle. In später Nacht hörten mehrere vorübergehende Burschen des Dorfes an der Quelle die Teadin waschen. Da schlich einer von ihnen, von Neugierde getrieben, ganz hinunter zu der Waschenden, um sie zu belauschen. Auf einmal hörten seine Kameraden, welche oben auf ihn warteten, einen klatschenden Schlag und einen kläglichen Schrei. Von Angst getrieben, flohen sie in das Dorf zurück. Als sie jedoch am nächsten Morgen Nachschau hielten, fanden sie ihren Freund tot an der sprudelnden Quelle. Heute noch erzählt jung und alt von der Teadin und jedermann fürchtet sich, in der Nacht an die Quelle zu gehen.

Quelle: Georg Graber, Sagen aus Kärnten, Graz 1941.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Harald Hartmann, Februar 2006.
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