Der Kärntner Untersberg

Zwischen den Ortschaften Kleblach und Lengholz im oberen Drautale erstreckt sich in der Länge von zwei Kilometern längs der Reichsstraße ein Waldhügel gegen die Kreuzeckgruppe zu. Auf seinem Rücken liegen in stiller Einsamkeit mehrere Bauerngehöfte, deren größtes den Hausnamen „Hies“ tragt. Wenn man diesen Hügel längs seines Sattels überschreitet, kommt man auf mehrere ebene Tratten, wo der Erdboden unter den Füßen mit hohlem, dumpfem Tone widerklingt. Abergläubische meinen, das komme von großen unterirdischen Höhlen im Innern des Berges. Der ganze Waldhügel führt den Namen Kams.

Die Sage erzählt, daß in einer der großen Höhlen ein Teil der Kriegsvölker Barbarossas verborgen schlafe, da - wie es heißt - seine Heeresmacht sich in drei Bergen aufhalten soll. Vor Jahren ging der erwachsene Sohn des Seifensieders von Blaßnig in der Heiligen Nacht aus der Christmette von der alten Kirche zu Lind allein nach Hause. Als er die Hochfläche betrat, sah er, wie dort eben Kriegsvölker in großer Zahl aufmarschierten; die blanken Waffen erglänzten im Mondenlichte, deutlich vernahm sein Ohr die Klänge der Kriegsmusik. Überrascht von der seltsamen Erscheinung, eilte er geradewegs zur Koflerhütte und weckte seinen Kameraden, den Koflersohn. Beide betrachteten nun das wunderbare Schauspiel, bis die ganze Kriegerschar mit klingendem Spiele abzog und im Schatten des Waldes verschwand. Ihre Wahrnehmungen, die sie am andern Tage den Nachbarn erzählten, bestätigten auch diese, darunter der Schieferbauer, welcher die Erscheinung gleichfalls gesehen und die Musik gehört hatte.

Ein Weinhändler, der mit seinem schwerbeladenen Fuhrwerke die Straße daherkam, sah sich mitten im Walde plötzlich einem Felsentor gegenüber. Weit öffneten sich die Torflügel und heraus trat ein Mann in blanker Waffenrüstung und forderte den Fuhrmann auf, in den Berg hineinzufahren; man würde ihm dort seinen Wein abkaufen. Er lenkte nun sein Gespann durch den Torweg in den Berg und gelangte in eine geräumige Halle, wo der Wein von schmucken Knappen abgeladen wurde. Hierauf erhielt er von dem Gewappneten ungezählt mehrere Hand voll Silbermünzen, so viel, daß der Wein mehr als bezahlt war. Mit frohem Mute ließ er das Fuhrwerk kehren und fuhr an den Tag zurück. Als er nach einiger Zeit wieder in jenen Wald kam und abermals ein gutes Geschäft zu machen hoffte, fand er das Tor nicht mehr, obwohl er glaubte, es sich gut gemerkt zu haben. Bis heute hat es auch niemand mehr gefunden.

Vor alten Zeiten gelangte die Hiesbäuerin von Blaßnig in denselben Berg, als sie eines Sonntags früh die Kühe ans die Weide trieb. Ein kleines Männlein tauchte vor ihr auf und winkte ihr, durch ein hohes Tor einzutreten. Und sieh da! In einer geräumigen Halle gewahrte sie einen alten Mann, der an einem steinernen Tische saß und schlief. Sein langer Bart umzog den Tisch. Schlafende Krieger lagen rings auf dem Boden und kleine, wunderlich gekleidete Männlein eilten geschäftig durch die Säulengänge, welche in endlose Fernen zu führen schienen. Die Bäuerin betrachtete neugierig all die Wunder und kurz dünkte sie der Aufenthalt im Berge. Ins Freie zurückgelangt, fand sie aber ihre Kühe nicht mehr auf der Weide. Sorgenvoll eilte sie heimwärts. Da begegneten ihr lauter unbekannte Leute mit fremden Gesichtern, und keiner schien sie zu kennen. Nur ein alter Knecht im Dorfe, der „braune Riepl“ genannt, erinnerte sich, daß vor vielen Jahren die Hiesbäuerin im Kamstale verschwunden sei. Diese stand nun vor ihm. Ein ganzes Menschenalter war während ihres Aufenthaltes im Berge vergangen. - Bald war ihr Erlebnis im ganzen Tale bekannt. Der greise Schläfer, den sie im Berge gesehen, soll niemand anderer gewesen sein als Kaiser Rotbart, weshalb der Hügel wohl mit Recht vom Volke auch Kärntner Untersberg genannt wird. - Das Weib überlebte diesen Vorfall nur mehr kurze Zeit.

Nach einer andern oberkärntischen Sage zieht sich der Untersberg von Salzburg bis Villach weitum in die Runde. In ihm sitzt Kaiser Friedrich mit seinen Untertanen, sie alle schlafen und harren der Erlösung. Aber auch gewöhnliche Erdenkinder kommen zeitweilig in dieses Reich.

Ein Fuhrmann kam mit einer Ladung Wein die Straße daher, als ihm ein Untersberger in den Weg trat und den Wein begehrte - gegen reichliche Bezahlung, wie er versicherte. Der Fuhrmann war’s zufrieden und brachte den Wein nach der verlangten Stelle. Da stand mitten im Walde ein schönes Marmortor mit der goldenen Aufschrift: Untersberg. Eine prachtvolle Straße führte in den Berg hinein, das Tor war aber „verblendet“, das heißt nicht für jeden sichtbar. So ging der Mann fürbaß, der Untersberger an seiner Seite neben dem Wagen, und sie gelangten zum schlafenden Kaiser Friedrich; sein Bart langte bereits zweiundeinhalbes Mal um den steinernen Tisch, an dem er saß. Auf die Frage des Fuhrmannes, wann er denn erwachen werde, erwiderte der Untersberger: „Wenn der letzte Glaubenskrieg kommt. Wir haben den ersten siegreich und gottgefällig überstanden und müssen hier bleiben bis zum letzten.“ Dann machten sie die Runde durch den Berg, an den Rändern der Straße lagen überall schlafende Mannen in voller Waffenrüstung. Da zog der Weinhändler einem das Schwert zur Hälfte aus dem Gehänge, worauf der Krieger erwachte und rief: „Ist’s Zeit?“ „Nein!“ sagte der Untersberger und stieß das Schwert zurück, dann wandte er sich tadelnd gegen den Mann: „Mensch, laß die Schwerter unberührt, sonst geht es los!“ Der Krieger aber fiel zurück und schlief weiter. Als der Fuhrmann endlich wieder herauskam, waren sieben Jahre der irdischen Zeit verstrichen.

Zwölf Tore führen in den Untersberg, sie sind verteilt im Umkreis; eines davon soll in der Nähe von Villach zu finden sein.

Auf ähnliche Weise wurde einst ein Bäcker in den Berg geführt und mußte dort sein ganzes Brot lassen. Denn die Untersberger scheinen, wie der alte Gewährsmann erzählt, arg zu hungern und begehren lechzend den Wein der Oberwelt.

Quelle: Georg Graber, Sagen aus Kärnten, Graz 1941.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Harald Hartmann, Februar 2006.
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